Bilder einer Apokalypse

38 Menschenleben haben die lodernden Waldbrände in Zentralrussland bereits gefordert

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Apathisch sitzt Lidija Iwanowa in dem eilig zur Notfallstation für Brandopfer umfunktionierten Kulturhaus in Woronesh, knapp 500 Kilometer südlich von Moskau. Ihre Hände umklammern eine Handtasche. Der Inhalt: Dokumente, Fotos und ein bisschen Wäsche. Das, was ihr gerade unter die Hände kam, als sie am Wochenende ihr Haus verlassen musste. In weniger als zwanzig Minuten brannte ihr Dorf nieder: Tscherjomuschki, das mitten im Wald liegt. 35 Höfe, von denen nicht einmal mehr die Grundmauern stehen.

So wie der 63-jährigen Rentnerin geht es in diesen Tagen vielen. In Zentralrussland hat es seit zwei Monaten nicht mehr geregnet, die Temperaturen liegen mehr als zehn Grad über dem langjährigen Durchschnitt. Die Folge: Waldbrände, wie sie der europäische Teil Russlands seit Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen vor 130 Jahren nicht erlebte. Dramatisch zugespitzt hatte sich die Situation Ende vergangener Woche, als sich böiger Wind aus der Arktis Richtung Süden aufmachte. Über vierzehn der insgesamt mehr als 80 russischen Regionen rast seither ein wahrer Feuersturm hinweg. Zu den bisher bekannten knapp 1000 Brandherden kamen über 800 neue dazu.

Insgesamt brennen bereits über 560 000 Hektar Wald. Besonders schwer betroffen sind die Regionen im Osten und Südosten von Moskau: Tula, Woronesh, Wladimir, Jaroslawl, Rjasan und Nischni Nowgorod. Dort sind über 180 000 Menschen gegen die Flammen im Einsatz: Feuerwehrleute, freiwillige Helfer, Paramilitärs und Einheiten der regulären Armee.

Die Erfolge halten sich bisher in Grenzen. Fast im Minutentakt spucken die Ticker der Nachrichtenagenturen neue Horrorzahlen aus. 38 Menschen kamen bislang in den Flammen um, Hunderte liegen in Krankenhäusern. 265 Dörfer brannten bereits ab, über 2500 Familien wurden obdachlos. Der Gesamtschaden addiert sich derzeit auf über 4,6 Millarden Rubel, das enspricht umgerechnet fast 160 Millionen Euro.

In Nischni Nowgorod machte sich am Freitag Premier Wladimir Putin selbst ein Bild von der Lage. Er sagte den Brandopfern umfassende Unterstützung zu. Mehreren Gouverneuren und lokalen Verwaltungschefs riet Putin zum Rücktritt und bezeichnete sie als teure Totalausfälle. Sehr ungnädig sprang auch Präsident Dmitri Medwedjew am Wochenende auf einer Telefonkonferenz mit den Chefs der Katastrophenregionen um. Der Vorwurf: Es seien nicht rechtzeitig alle nötigen Maßnahmen zur Schadensbegrenzung getroffen worden. Ähnlich äußerten sich Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace. Die Bilder vom Nachrichtenkanal vesti 24 erinnern an Apokalypse.

Berechtigt sind die Vorwürfe, dass es an Koordination der Rettungs- und Löscharbeiten mangelt und dass die Einsatzleitung mit der Logistik massive Probleme hat. Bewohner bedrohter Siedlungen wurden erst spät oder teils gar nicht gewarnt, eine planmäßige Evakuierung – so jedenfalls berichteten Augenzeugen – habe es nirgendwo gegeben. Auch seien die Dörfler in vielen Fällen bei der Brandbekämpfung auf sich allein gestellt gewesen. Zum einen, weil durch den Qualm die Sicht begrenzt ist, daher können Löschflugzeuge nicht eingesetzt werden. Dazu kommt die katastrophale Infrastruktur. Weil in ihre Siedlungen bisher keine befestigten Straßen führen, können von den 142 Millionen Einwohnern Russlands 27 Millionen nur bedingt oder gar nicht auf Hilfe der Feuerwehr zurückgreifen.

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