Auf Tuchfühlung mit dem Rassismus
Antifaschisten versuchten auf der Biermeile am Wochenende, extrem rechten Vorurteilen Paroli zu bieten
Ein Mann zerreißt fluchend einen Handzettel der Initiative gegen Rechts. Ein Zweiter möchte Aufkleber vom Stand auf dem Bierfestival mitnehmen, und sein Grinsen verrät, dass er sich über die Antifaschisten lustig macht. Ein weiterer raunt im Vorbeigehen, dass Rassismus doch gut sei. Ein Satz, zu dem einem eigentlich nichts mehr einfällt. Trotzdem sucht Canan Bayram (Grüne) das Gespräch auch mit diesen Passanten. »Wir müssen mit den Leuten reden. Das bringt was.« Davon ist die Abgeordnete und Aktivistin der Kiezinitiative überzeugt.
Am frühen Abend wird es voll auf der Meile. Viele Tausende kommen, und die Massen schieben sich an dem Infostand vorbei. »Hier stehen wir genau richtig«, sagt Markus Roth von der Initiative, dabei ist ihm sichtlich unwohl. Wer sich ein paar Minuten zu ihm setzt, der merkt schnell, wie sehr die Anwesenheit der Antifaschisten eine Provokation ist. Soziologen behaupten, der Rechtsextremismus habe seinen Nährboden in der Mitte der Gesellschaft. Die Initiative gegen Rechts hat auf dem Bierfestival Tuchfühlung mit ihm aufgenommen.
Dabei sollte es ein friedvolles Volksfest mit Musik werden. Der Veranstalter Lothar Grasnick distanziert sich ausdrücklich von Flatrate-Partys, Börsen- und Sonderpreisen. Er wollte nicht, dass die Biermeile in einem Saufgelage endet. Sein Wunsch erfüllte sich nicht; es ging zünftig zu – je später der Abend, desto ordinärer wurde es.
Sebastian Wehrhahn von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) hat das Fest im Vorfeld problematisch eingeschätzt. In den vergangenen Jahren habe es auf dem Volksfest Angriffe gegen Migranten und Linke gegeben. Das sollte sich dieses Mal nicht wiederholen, und entsprechend wurden Vorsichtsmaßnahmen ergriffen: Nach einem Vorbereitungstreffen entschied das Bezirksamt, dass die Sportanlagennutzungsverordnung für die Meile gelten solle. Der Veranstalter bekam damit das Hausrecht übertragen, und er sollte unliebsame Gäste von dem Festival ausschließen. Lothar Grasnick betonte, dass Neonazis unerwünscht seien. Wer verfassungsfeindliche Symbole auf der Partymeile trage, solle runterfliegen.
Das Problem ist jedoch dabei: Die rechte Jugend heute trägt nicht mehr nur Glatze und Bomberjacke, sondern ihre Codes sind versteckt, und manchmal nur für Insider erkennbar. Die MBR traf sich im Vorfeld des Festes mit dem Sicherheitsdienst und erklärte ihm die rechten Symboliken. Sebastian Wehrhahn achtet darauf sehr genau; denn mittels dieser versteckten Zeichen versuchten die Rechten bewusst, öffentliche Räume zu besetzen. Die Schulung zeigt Wirkung: Ein älterer Mann erzählt am Stand der Initiative, wie der Sicherheitsdienst einem Rechten angewiesen habe, eine Runen-Tätowierung abzukleben. Vereinzelt werden Neonazis auch der Polizei übergeben. Eine Sensibilisierung gegenüber Rechtsextremen hat die Biermeile erreicht.
Allerdings werfen Antifaschisten dem Wachdienst auch vor, in etlichen Fällen ihrer Aufgabe nicht nachgekommen zu sein: So seien am Freitagabend in einem Bierzelt Neonazis aggressiv geworden, und die Security habe daneben gestanden und zugeschaut. Die zuständige Sicherheitsfirma K&S wollte sich gegenüber dem ND dazu nicht äußern. Insgesamt sei es auf der Biermeile friedlich geblieben, vermeldet der Veranstalter. Auch die Polizei, die sich dezent im Hintergrund hielt, hat keine größeren Zwischenfälle bemerkt.
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