Der ganz normale Schrecken
Sachsen: Zwangsarbeiterlager oft unerforscht
Leipzig. Über den Friedhof hat sich das Vergessen gelegt. Grabsteine gab es noch nie. Es wächst mehr Unkraut als Gras. Vor einem Gedenkstein stehen zwei vertrocknete Gestecke. Dahinter ragen farbenfroh gelbe Gerbera und Rosen. Sie sind aus Plastik.
Unter dem Wildwuchs im Wald des sächsischen Dorfes Flößberg liegen 38 Juden begraben. Sie starben als Opfer eines nationalsozialistischen Zwangsarbeiterlagers der Hugo Schneider-AG (Hasag) in Leipzig. Dort mussten sie Teile für Panzerfäuste herstellen. Aus der ehemaligen Lampenfabrik hatte sich ab 1933 einer der wichtigsten privaten Rüstungsbetriebe für die Nazis und deren Krieg entwickelt.
An die von den Sowjets später demontierte Fabrik und das dahinter stehende System mit Zwangsarbeiterlagern in Sachsen, Thüringen und Polen wird kaum erinnert. Zwischen 50 000 und 100 000 Menschen haben allein für die Hasag arbeiten müssen, sagt die Mitarbeiterin der Leipziger Gedenkstätte für Zwangsarbeit, Sylvia Ehl. Sie arbeitet die wenig erforschte Geschichte der Hasag und ihrer Arbeiterlager auf,
Bundesweite Bedeutung
Allein 500 Zwangsarbeiterlager habe es im Leipziger Großraum gegeben. Sachsenweit musste eine halbe Million Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen Zwangsarbeit leisten. So sei Sachsen mit einem Schwerpunkt in Leipzig ein wichtiges Zentrum der Kriegsindustrie gewesen, berichtet Ehl. Und darum sei auch die Geschichte der Lager bundesweit von Bedeutung. Doch von einer entsprechenden Würdigung könne derzeit keine Rede sein, fügt die Historikerin hinzu.
Ehls Arbeitsplatz befindet sich auf dem einst 55 000 Quadratmeter großen Fabrikgelände. Heute stehen dort die modernen Bauten des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung. Für die Gedenkstätte blieb nur das ehemalige Pförtnerhäuschen übrig. Der Ausstellungsraum ist kaum größer als ein Wohnzimmer. Der Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Siegfried Reiprich, will dem Thema künftig mehr Bedeutung schenken. Er plädierte dafür, entsprechende Initiativen im Zuge einer Novellierung des sächsischen Gedenkstättengesetzes auf Dauer zu fördern.
Freiwillig für Hitler
Dass sie bisher wenig Aufmerksamkeit fanden, führt Ehl zum Teil auf die Scham einiger Opfer zurück. Nicht alle Zwangsarbeiter seien damals unter Zwang gekommen. Manche »erhofften sich gutes Einkommen und bessere Bedingungen als zu Hause«, sagt Ehl. Weil sie de facto Zwangsarbeiter wurden, zählen sie in der Statistik. »Sie reden aber nicht darüber, weil sie sich schämen, freiwillig für Hitler gearbeitet zu haben.«
Als zweiten Grund nennt Ehl die »schreckliche Normalität des Ganzen«. Zwangsarbeiter seien selbstverständlich auch von Familienbetrieben eingesetzt worden, sie wohnten überall. Für das Gedenken gibt es keinen zentralen Punkt, sondern hunderte Mahnmale in Städten, Dörfern oder eben mitten im Wald. Mancherorts kümmern sich lokale Initiativen um die Gedenkorte – wie zum Beispiel die Leipziger »Geschichtswerkstatt« in Flößberg.
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