Das »Chamäleon« fordert Berlusconi heraus
Italien: Der einstige Weggefährte Fini ist zur Bedrohung für den Regierungschef geworden
faschistischen Partei MSI und heute der italienischen Abgeordnetenkammer. In Italien hat es wohl nie eine so unglaubliche politische Karriere gegeben.
Die einen sagen: Gianfranco Fini hat sich konsequent weiterentwickelt und hat eine Art Läuterung durchlaufen, vom überzeugten Faschisten zum wirklichen Demokraten, vom Mussolini-Anbeter zum abgeklärten Staatsmann. Die anderen meinen: Dieser Mann hat in seiner politischen Laufbahn schon so ziemlich alles gesagt und ist deshalb auch nicht glaubwürdig, sondern nur ein machthungriger Opportunist, der über Leichen geht. Die jeweilige Wahrheit hängt wohl von der Lesart und der Perspektive ab.
Gianfranco Fini stammt aus einer bürgerlichen Familie und wurde in Bologna geboren; wie viele Italiener hat auch er einen kommunistischen und einen faschistischen Großvater. Er soll sich den Rechten angeschlossen haben, weil in seinen Jugendjahren eine Gruppe von »Roten« ihn daran hindern wollte, einen Kriegsfilm mit John Wayne zu sehen. Das habe seine »Freiheitsliebe« angestachelt. Tatsächlich übernimmt er noch als Schüler und dann vor allem als Student in Rom die ersten wichtigen Ämter innerhalb der Jugendbewegung der neofaschistischen Partei MSI. Und man muss schon sehr verblendet sein, um die als »freiheitsliebend« zu bezeichnen. Sie schließt praktisch nahtlos an die Mussolini-Partei an.
Ihr langjähriger Vorsitzender und zugleich der politische Ziehvater von Fini, Giorgio Almirante, war Funktionär in der faschistischen Republik von Salò und vor allem in der »Partisanenbekämpfung« aktiv. Lange war für Fini »der Duce« der größte italienische Staatsmann des 20. Jahrhunderts und noch 1990 bekannte er sich ausdrücklich zur »faschistischen Grundlage« seiner Partei, deren Vorsitz er 1987 übernommen hatte. In jenen Jahren erhält die MSI bei Wahlen immer zwischen vier und sieben Prozent und wird von allen anderen Parteien im Parlament als »undemokratisch« und als »nicht koalitionsfähig« bezeichnet.
Den wirklichen Durchbruch und den Auszug aus der Schmuddelecke verdankt Fini 1993 einem gewissen Silvio Berlusconi, der damals »nur« Unternehmer in Mailand war und erst im darauf folgenden Jahr offiziell in die politische Arena steigen sollte. Fini kandidierte damals für das Amt des Oberbürgermeisters von Rom und Berlusconi erklärte, dass er – wenn es ihm möglich wäre – sicherlich ihn wählen würde. In den darauf folgenden Monaten wird die MSI Koalitionspartner von Berlusconi in seiner ersten Regierung, und 1995 wandelt Fini seine Partei in die »wertkonservative, nicht ideologische« Alleanza Nazionale um.
Es folgen Jahren, in denen AN mal mit Berlusconi koaliert und mal andere Verbündete im politischen Panorama sucht. Überhaupt ist die Beziehung zum Mailänder Medienunternehmer immer sehr kontrovers, Fini wirft ihm immer wieder vor, »kein Staatsverständnis« zu haben und sich mehr um seine eigenen Angelegenheiten als um die Italiens zu kümmern. Erst Ende der 90er Jahre wendet sich Fini offiziell von Mussolini und vom Faschismus ab, den er als »undemokratisch« und »absolutes Übel« bezeichnet. In Israel entschuldigt er sich 2003 de facto für die Judenverfolgung. Der »harte Kern« seiner Partei verzeiht ihm dies ebenso wenig wie den Vorschlag, den Immigranten das Wahlrecht zu erteilen. Und während er noch wenige Jahre zuvor gesagt hatte, er wäre dagegen, dass Homosexuelle Lehrer werden, tritt er nun für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften ein.
Der – vielleicht – endgültige Bruch zwischen Berlusconi und Fini und damit der gemeinsam gegründeten Partei »Volk der Freiheit« erfolgte im Juli dieses Jahres. Berlusconi wird als »Diktator« und Fini als »Verräter« beschimpft, und gegenseitig wirft man sich »kriminelle Machenschaften« wie Steuerhinterziehung vor. Jetzt verhält Gianfranco Fini sich abwartend. Ob und wann er die Berlusconi-Regierung tatsächlich zu Fall bringen wird, bleibt abzuwarten. Ebenso wie die Antwort auf die Frage, ob es Fini gelingen wird, sich glaubhaft als Vertreter einer »modernen, europäischen Rechten« zu etablieren.
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