Von wegen Himmelsmacht

Sunnyi Melles entfesselt bei der letzten Schauspielpremiere der Salzburger Festspiele Racines »Phädra«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Phädra ©Tanja Dorendorf
Phädra ©Tanja Dorendorf

V on wegen Himmelsmacht! In Jean Racines (1639–1699) »Phädra« ist die Liebe eher ein Fluch. Alles, was passiert, ist hier im Grunde nur das menschliche Ende einer halb- und vollgöttlichen Dauerfehde. Kein Wunder, dass sie alle mit ihren Göttern (gut griechisch gibt’s für jeden Fluch den passenden) hadern. Die attische Königin und Minostochter Phädra schiebt ihr ganzes Verhängnis auf die Liebesgöttin Venus. Und ihr Mann Theseus, Aigeus-Sohn und König von Athen, hält es mit Poseidon. Der Meeresgott wird seinem nicht sehr menschenfreundlichen Ruf denn auch gerecht, indem er auf den vorschnellen Fluch des Theseus, den der seinem verleumdeten Sohn hinterdrein schickt, so vorschnell reagiert, dass der Vater nichts mehr zurücknehmen kann, als er von der Unschuld seines Sohnes erfährt.

Das göttlich programmierte Unheil gewinnt seine tödliche Dynamik, wenn Phädra die verbotene Leidenschaft für ihren Stiefsohn Hippolytos erst ihrer beflissenen Amme Önone, dann dem Objekt ihrer Begierde und schließlich ihrem tot geglaubten und dann plötzlich heimkehrenden Ehemann offenbart. Für sie spricht, dass sie lange dagegen angekämpft und alles unternommen hatte, um dem jungen Mann aus dem Weg zu gehen. Gegen sie spricht, dass sie, als sie von der heimlichen Liebe des Hippolytos zur jungen Arikia erfährt, jeden Skrupel fahren lässt und ihre Amme nicht daran hindert, Hippolytos beim König genau jenes Vergehens anzuklagen, dessen sie sich selbst schuldig gemacht hat.

Burgtheaterchef Matthias Hartmann hat für seine »Phädra«-Inszenierung, mit der er jetzt den Premierenreigen der Salzburger Festspiele abgeschlossen hat und mit der er die neue Spielzeit im Akademietheater eröffnen wird, eine Luxus-Besetzung zusammengestellt. Mit Sunnyi Melles als einem so faszinierenden wie ambivalenten Phädra-Ereignis. Das Grandiose an ihr ist, dass sie sich rückhaltlos in diese elementare Leidenschaft werfen und genau darüber Bauklötzer staunen kann. Und zwar gleichzeitig. Sie redet über ihre Phädra genauso echauffiert, wie sie sie spielt. Aber dabei gibt sie vor allem die Diva, die vorführt, wie sie mit jeder Faser ihres Körpers, mit jedem Blick aus weit aufgerissenen Augen, mit jedem Kreischton ihrer Stimme ihre Phädra vor Leidenschaft beben, schreien, kreischen und schwanken lassen will. Sie macht sich zum lodernden Leuchtfeuer des Abends. Doch der Regisseur will die Gefahr des Funkenflugs, mit dem die Tragödie im unfreiwilligen Komödiantenfeuer aufzugehen droht, nicht sehen oder gar eindämmen. Er bläst vielmehr ins Feuer. Das fällt besonders auf, weil ansonsten eine wohltuende Reduktion aufs Wort-Wesentliche vorherrscht.

Wenn Phädra sich an den verschüchterten Hippolytos heranmacht und ihm die Kleider vom Leib zu reißen versucht, dann treibt der wunderbar verstörte, staunende Philipp Hauß die Melles eher noch an. Und die immer leicht gebückt hechelnde Therese Affolter als einflüsternde Önone wirkt stets wie eine zu klein geratene Karikatur ihrer Herrin. Doch wenn Paulus Manker als Theseus geradewegs aus der Unterwelt auftaucht, sich wie ein Fels von Mann an der Rampe aufbaut und seine Worte leise grollen und dann laut donnern lässt, dann wird er zu einem echten Gegenwicht für die Melles. Die Momente von tragischer Größe ereignen sich hier jenseits der meist ins Groteske, ja unfreiwillig Komische übersteuerten Divenshow. Wenn Hippolytos und Arikia (mit zurückgenommener und daher umso wirkungsvollerer Intensität: Sylvie Rohrer) kaum voneinander lassen können. Wenn Theseus dem Sohn nicht glaubt, und der sich mit Rücksicht auf den Vater nicht mit der Wahrheit verteidigt. Oder wenn Hans Michael Rehberg als treuer Erzieher des Hippolytos vom grauenvollen Ende seines Zöglings berichtet.

Die Ergriffenheit, die sich in solchen Momenten einstellt, währt aber nur kurz. Sie verfliegt meist gleich wieder. Wenn sich die so schlichte wie geniale Wand von Johannes Schütz von der schwarzen auf die weiße Seite dreht, zwischendrin das Meer rauscht und Phädra wieder auftaucht. Selbst bei ihrem finalen Geständnis. Da hat sie neben der verbotenen Liebe ganz irdisch tödliches Gift im Leib.

Für die Melles wird das zur Steilvorlage für ein fulminantes Verzucken auf dem Boden. In Salzburg wurde das bejubelt. Es war immerhin virtuoses Wort- und Schauspieler-Theater. Und irgendwie war es auch mal Racine.

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