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Abbruch der Endfertigung

Der DEFA-Klassiker »Karla« und die deutsch-deutsche »Frühlingssinfonie« auf dem Alexanderplatz

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Fontane habe die Kraft der Arbeiterklasse voll erkannt, aber noch nicht gültig gestaltet, trägt die Klassenstreberin überzeugt vor. »Von wem habt ihr denn diesen Blödsinn?«, ereifert sich daraufhin die neue Lehrerin spontan. Klara heißt die aufrichtige und impulsive junge Pädagogin in Herrmann Zschoches gleichnamigem Film von 1965.

Den Kulturpolitikern der DDR missfiel die junge Protagonistin, die ihre Schüler der 12. Klasse zu eigenständigem Denken animiert. Und so gehörte »Karla« zu den so genannten Verbotsfilmen, denen das 11. Plenum der SED zum Verhängnis wurde. Das in prägnantem Schwarz-Weiß gedrehte Werk war lange Jahre verschollen und wurde nach sorgfältiger Rekonstruktion erst 1990 wieder aufgeführt.

Am 24.8. zeigen der Progress-Filmverleih und die Robert-Havemann-Gesellschaft den Film in einer kostenlosen Freilichtvorführung auf dem Alexanderplatz. Zwei Tage später wird »Frühlingssinfonie«, eine der wenigen deutsch-deutschen Koproduktionen, dort aufgeführt. Nach beiden Projektionen wird es Gespräche mit den Filmemachern geben – Stoff dazu ist sicher noch reichlich vorhanden.

Denn es ist bezeichnend, dass die Zensoren der DDR mit »Karla« ausgerechnet einen Film seinem Publikum vorenthielten, in dessen Mittelpunkt eine in mehrerlei Hinsicht unorthodoxe Heldin stand. Unorthodox, weil sie innerhalb weniger Filmminuten einen gesellschaftlichen Aussteiger zum Lebenspartner kürt. Nicht gewöhnlich auch, weil sie – bevor sie sich vorübergehend fügt – spontan umdisponiert und den Lehrplan ignoriert. In gewisser Weise steht Karla stellvertretend für viele DDR-Kulturschaffende jener Zeit, die nach dem Mauerbau die Chance für eine neue (Diskussions-) Kultur gekommen sahen.

Als »absolute Bauchlandung« bezeichnete Drehbuchautor Ulrich Plenzdorf das Projekt später. Dabei hatte Regisseur Zschoche sich beim Schnitt sogar noch selbst zensiert und Bemerkungen über den Journalismus unter Stalin aus dem Film entfernt. Doch dann ereilte ihn beim Synchronisieren das Verbot, das bürokratisch »Abbruch der Endfertigung« und »Ausbuchung« hieß. Zwar entstanden den Filmemachern und Schauspielern im Anschluss keine nennenswerten weiteren Probleme, aber um ihren »karla«-haften Elan war es vorerst geschehen.

Spielte Rolf Hoppe in »Karla« eine kleine Rolle als Lehrer, übernahm er in »Frühlingssinfonie« (1983) unter der Regie des Münchener Regisseurs Peter Schamoni dagegen eine der drei Hauptrollen. Als Friedrich Wieck müht er sich, im Leipzig der 1830er Jahre, dem Komponisten Robert Schumann den Umgang und dann die Hochzeit mit seiner Tochter Clara zu verbieten. Der in West-Berlin, Torgau und Leipzig gedrehte, sorgfältig ausgestattete und inszenierte Film wartete zudem mit den damals in der BRD hoch gehandelten Stars Nastassja Kinski und Herbert Grönemeyer auf. Außerdem bewies er, dass die künstlerische Zusammenarbeit zwischen beiden deutschen Staaten durchaus gelingen konnte.

Systemübergreifend werden in dem Historienfilm Fragen wie das Vater-Tochter-Verhältnis oder die Diskrepanz zwischen Künstlertum und Broterwerb verhandelt. Hoppe brilliert als autoritärer Vater, vermag seiner Figur aber auch Verletzlichkeit zu verleihen. Auf der Leinwand ist eine große Chemie zwischen ihm und Nasstassja Kinski zu spüren, und auch hinter der Kamera sollen sich die beiden gut verstanden haben. Grönemeyer hingegen trumpft in seiner letzten großen Kinorolle als ungestümer, egozentrischer Künstler auf.

Bei aller Verständigung wurden aber hinter den Kulissen Unterschiede in der Behandlung der Schauspieler deutlich. Während Hoppe und seine DEFA-Kollegen im schlichten Konsum-Hotel in Halle nächtigten, residierten die West-Stars im frisch erbauten Leipziger Interhotel.

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