Leseprobe

Erich Mühsam

  • Lesedauer: 2 Min.
Fünfzigjährig schrieb Erich Mühsam seine »Unpolitischen Erinnerungen« für die Vossische Zeitung, ein bürgerliches Blatt, das wenig Bedarf hatte für Bekenntisse, Programm und Erfahrung eines politischen Rebellen. Gegenstand seines Rückblicks ist die sogenannte »literarische Boheme« der Vorkriegszeit in Berlin und München, als deren Symbolfigur der Autor Mühsam galt. Er stellte sich dieser Aufgabe, zögernd freilich und nicht ohne Bewusstsein ihrer problematischen Seiten. Er schreibt gegen eine Verklärung der Vorkriegswelt und gegen manche Züge ihrer Selbststilisierung, ohne Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die vergangen ist ...

Mühsam wusste, dass die »Leser dieser Bekenntnisse« – die Leser der Vossischen Zeitung also – andere Ziele hatten als er selbst. Ihr Interesse an »hübschen Anekdoten, Charakterbildern, vergessenen Persönlichkeiten« zu bedienen, »Kleinigkeiten zusammenzutragen, von denen dies und jenes späterhin einmal einem fleißigen Seminaristen als Beitrag zu seiner literaturhistorischen Doktordissertation dienen mag«, ist das eine. Ein anderes ist es, auch vor diesem Publikum, das Mühsam nicht als das ihm gemäße empfand, Zeugnis abzulegen von der Veränderung der literarischen Szene, von dem tiefen Einschnitt, den die Novemberrevolution und die revolutionäre Nachkriegskrise auch auf dem literarischen Feld der Republik von Weimar bewirkt hat. Gewiss, das geschieht indirekt und unaufdringlich – aber unmissverständlich .

Aus »Erich Mühsam – Schriftsteller, Anarchist, Antifaschist« von Dieter Schiller (Helle Panke e.v., 56 S., br., 3 €; über den Verein, Kopenhagener Str. 76, 10437 Berlin, Telefon: 030/47 53 87 24).

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