Schwarzer-Peter-Spiel geht in neue Runde

Loveparade-Veranstalter Schaller will Polizei mit Filmmaterial im Internet belasten

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Fünf Wochen nach dem Loveparade-Unglück geht Rainer Schaller in die Offensive. Der Chef des Loveparade-Veranstalters Lopavent veröffentlichte im Internet über 22 Stunden Filmmaterial und einen sechsminütigen »Dokumentarfilm«. Die Videos sollen belegen, dass polizeiliches Handeln zum Unglück führte.

Wer trägt die Schuld für die 21 Toten und für hunderte Verletzte und Traumatisierte des Loveparade-Unglücks? Seit dem 24. Juli, dem Unglückstag, wird der schwarze Peter weitergereicht: Verantwortung übernehmen wollen weder die Stadt Duisburg noch die Polizei, geschweige denn der Veranstalter Lopavent GmbH. Jeder der drei Akteure belastet in unregelmäßigen Zeitabständen die jeweils anderen. Und betont, er (und nur er!) wolle zur Aufklärung beitragen.

Seit gestern wurde das Schwarzer-Peter-Spiel richtig unappetitlich: Lopavent-Chef Rainer Schaller (für Polizei und Innenministerium der Hauptschuldige) veröffentlichte im Internet Videos vom Loveparade-Unglück. 22 Stunden Bildmaterial, aufgezeichnet von sieben Überwachungskameras, ungekürzt, ist nun für jedermann zugänglich. Schaller ignorierte Bitten der Staatsanwaltschaft, auf die Veröffentlichung zu verzichten – aus Gründen der Pietät und Rücksichtnahme, auch wegen der laufenden Ermittlungen.

Online gehen ließ Schaller auch einen sechseinhalbminütigen »Dokumentarfilm«. Bisher sei »viel spekuliert worden«, heißt es zu dessen Erläuterung. »Dieser Film zeigt, was sich am 24. Juli 2010 ereignet hat.« Versprochen wird also nicht weniger als die ultimative Wahrheit. Schallers Wahrheit lautet: Durch drei Polizeiketten und deren chaotische Auflösung habe die Polizei die Toten verursacht.

Dreieinhalb Stunden habe der Zugang zum und Abgang vom Loveparadegelände funktioniert, wird in dem Film behauptet. Dann habe die Polizei »eine Kette« vor einer Ausgangsrampe gebildet. »Dadurch wird der Zu- und Abstrom der Besucher im Westen blockiert. Nur wenige kommen heraus.« Sodann habe die Polizei auch im Ostteil des Tunnel eine weitere Polizeikette gebildet. Damit seien beide Zu- und Abgänge »durch die Polizei blockiert« gewesen.

Doch die Polizei habe noch eine dritte Polizeikette gebildet, weiter vorne auf dem Zugangsweg zum Gelände. Die Folge laut Lopavent-Film: »Es bildet sich eine immer größere Menschenmenge, die das Gelände verlassen will, aber nicht weiter kommt. Ein Pfropf entsteht.« Gegen 16.13 Uhr musste die erste Polizeikette nach dieser Darstellung dem Druck weichen. Die angestaute Menge sei nun ungehindert auf das Gelände geströmt – und den Massen an der dritten Polizeikette in den Rücken gelaufen.

Schließlich sei auch die zweite Polizeikette im Westen aufgelöst worden. Nun seien von Osten und Westen Menschenmassen gegen den »Pfropf« an der dritten Polizeikette gelaufen. Immer mehr Menschen seien nachgeströmt. Schließlich sei die Lage ausweglos geworden: »Die Menschen sind eingekesselt«. Ab 16.40 Uhr sei die Menschenmenge so dicht gedrängt gewesen, »dass es zu den ersten Toten kommt«.

Prompt kam das Dementi: Schallers Vorwürfe zurück wies Dieter Wehe, Inspekteur der NRW-Polizei, im Innenministerium im Range eines Referatsleiters zuständig für Einsatzfragen, Führung, Steuerung und Inspektionen. Schallers Aussagen, so Wehe, würden »nicht besser, nur weil er sie wiederholt«. Der Veranstalter habe die Polizei um Hilfe gebeten, weil sein Sicherheitskonzept zusammengebrochen war, griff Wehe seinerseits zum Mittel der Wiederholung. Lopavent habe zugesagt, die Eingangsschleusen zu schließen. »Das ist nicht geschehen«, monierte Wehe erneut.

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