Ende der Ehrenrunden

An den neuen Sekundarschulen wird Sitzenbleiben zur Ausnahmeregelung

  • Barbara Schneider, epd
  • Lesedauer: 3 Min.
Keine Angst vorm Zeugnis: Noten gefährden künftig nicht mehr die Versetzung.
Keine Angst vorm Zeugnis: Noten gefährden künftig nicht mehr die Versetzung.

Peer Steinbrück scheiterte an Altgriechisch und Latein, auch Harald Schmidt und Guido Westerwelle sind sitzen geblieben. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat eine »Ehrenrunde« gedreht. Sein Bundesland hat zum neuen Schuljahr an den neuen Sekundarschulen, die Haupt- und Realschulen zusammenfassen, das Sitzenbleiben abgeschafft. Wiederholen ist hier nur noch auf freiwilliger Basis oder in Verbindung mit einer Bildungs- und Erziehungsvereinbarung und der Zustimmung der Eltern möglich.

»Sitzenbleiben steht schon lange in der Kritik«, sagt die Bildungsexpertin der Berliner SPD, Felicitas Tesch. Die meisten Schüler, die ein Schuljahr wiederholten, würden dadurch ihre Leistungen nicht unbedingt verbessern. Und auch Peter Sinram von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) meint: »Alle Kinder haben ihr eigenes Lerntempo.« Sitzenbleiben sei ein Misserfolgserlebnis und führe zu »sozialer Stigmatisierung«.

Eine ähnliche Ansicht vertritt auch der OECD-Bildungsexperte und PISA-Test-Koordinator Andreas Schleicher. »Sitzenbleiben bringt dem Schüler nichts und ist außerdem ineffizient«, sagte er vor einiger Zeit in einem Interview. An anderer Stelle sagte er: »In Skandinavien käme kein Mensch auf die Idee, Schüler dieselbe Klasse mehrmals besuchen zu lassen.«

Finnland, wo es kein Sitzenbleiben gibt, nahm bei der ersten PISA-Studie vor zehn Jahren einen Spitzenplatz ein. Deutschland rangierte damals im unteren Mittelfeld. Damals wie heute ist die Sitzenbleiberquote hierzulande hoch: Allein im Schuljahr 2008/09 ist dem Statistischen Bundesamt zufolge jeder 50. deutsche Schüler sitzen geblieben, insgesamt waren das rund 184 000 Kinder und Jugendliche. An der Spitze lagen dabei Bayern (3,2 Prozent aller Schüler), Sachsen-Anhalt (3,1 Prozent) und Berlin (3,1 Prozent).

Während sich in der Politik immer mehr die Kritik am Sitzenbleiben durchsetzt, gehen die Meinungen in der Wissenschaft auseinander. Teuer und unwirksam sei das Wiederholen einer Klassenstufe, heißt es in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung. Darin hat der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm errechnet, das Sitzenbleiben koste den Steuerzahler jährlich knapp eine Milliarde Euro, ohne pädagogische Erfolge zu zeigen.

Demgegenüber steht eine Untersuchung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, das im Jahr 2004 Daten von mehr als 2500 ehemaligen Schülern der Geburtsjahrgänge 1961 bis 1973 ausgewertet hatte. Das Ergebnis: »Wer eine Klasse wiederholt, hat gute Chancen, einen besseren Schulabschluss als vergleichbare Mitschüler zu erreichen, die immer versetzt wurden.« Eine Argumentation, der auch der Deutsche Lehrerverband folgt. So bezeichnet dessen Präsident Josef Kraus die Forderung nach Abschaffung als »pädagogischen Unsinn«. Das Versetzen um jeden Preis sei eine krasse Fehlinvestition für die ganze Gesellschaft. »Eine Abschaffung des Sitzenbleibens käme einem Recht auf Wohlfühlschule mit Abiturvollkaskoanspruch gleich.«

Einer, der die achte Klasse wiederholen musste, ist Bernd Neuer. »Es war eine furchtbare Zeit«, erinnert er sich heute. »Ich war damals mit ganz anderen Sachen als Schule beschäftigt.« Pubertät, Pickel, die ersten Mädchen-Geschichten. Und dann auch noch zwei Fünfen in Erdkunde und Deutsch. Bernd Neuer, der im wirklichen Leben anders heißt, ist inzwischen selbst Lehrer geworden. Für Erdkunde und Deutsch. Wie sieht er das Sitzenbleiben heute? »Warum nicht«, meint er. Schüler hätten dadurch die Möglichkeit, Schwächen aufzuholen, für faule Schüler sei die drohende Wiederholung vielleicht Motivation, sich doch noch anzustrengen.

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