Kauft sich Chirac vor seinem Prozess frei?
Die Stadt Paris will gegen Bares auf die Klage gegen ihren Ex-Bürgermeister verzichten
Bei dem Verfahren geht es darum, dass Chirac als Bürgermeister dafür gesorgt hat, dass zwischen 1992 und 1995 zeitweise bis zu 21 hauptamtliche Mitarbeiter seiner Partei RPR als angebliche Stadtbedienstete geführt und aus der städtischen Kasse bezahlt wurden.
Die Anklage musste während der Jahre 1995-2007 ruhen, in denen Chirac Staatspräsident war und damit Immunität genoss. Um jetzt einer Verurteilung zu entgehen, haben Chirac und die rechte Regierungspartei UMP – in der die RPR aufgegangen ist – dem amtierenden sozialistischen Bürgermeister Bertrand Delanoe einen »Deal« vorgeschlagen, und der ist darauf eingegangen. Dafür, dass die UMP der Stadt 1,65 Millionen Euro und Chirac seinerseits 550 000 Euro erstatten wollen, ist der Bürgermeister bereit, seine Klage zurückzuziehen.
Allerdings bedarf es dafür noch eines Beschlusses im Stadtrat, der Ende September darüber beraten wird. Zwar sind die meisten der rechten wie linken Stadtratsmitglieder dafür, doch gibt es in beiden Lagern auch Kritiker dieses Abkommens, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen.
Einige rechte Abgeordnete meinen, mit einer solchen Zahlung gestehe man eine Schuld ein, die eigentlich nicht gegeben sei, weil es seinerzeit noch kein Gesetz über die Parteienfinanzierung gegeben hat und die Bezahlung politischer Mitarbeiter »aus Gefälligkeit« durch Stadtverwaltungen oder auch private Unternehmen eine weit verbreitete Praxis war – rechts wie links.
Dagegen haben vor allem grüne und kommunistische, aber auch einige sozialistische Abgeordnete den sozialistischen Bürgermeister Delanoe kritisiert, weil der sich auf einen solchen »Deal« eingelassen hat. Am schärfsten reagierte Eva Joly, Spitzenpolitikerin der Grünen-Bewegung Europe Ecologie und frühere Untersuchungsrichterin im Elf-Prozess, die von einem »politischen Fehler« und »Rechtsbeugung« spricht. Ihr Urteil ist unnachsichtig: »Dieses Abkommen zeigt dem Bürger die politische Klasse, die wie eine Kaste funktioniert, und verstärkt seine Überzeugung, dass nicht alle gleich sind vor dem Gesetz.« Die Kommunistische Partei betont, dass den Schaden die Steuerzahler hätten, denn das Geld, das die UMP zu erstatten bereit sei, stamme letztlich aus den Mitteln der Parteienfinanzierung, die jeder Formation entsprechend ihren Wahlergebnissen aus dem Staatshaushalt zufließen.
Bürgermeister Delanoe weist jede Kritik an der außergerichtlichen Einigung zurück und betont, er verstehe sich nicht als »Inquisitor« und wolle »nicht um jeden Preis Chirac noch auf dessen alte Tage zum Vorbestraften machen«. Ihm gehe es allein um die Interessen der Pariser, denen mit der finanziellen Wiedergutmachung am besten gedient sei, zumal die Summe von 2,2 Millionen Euro über die zu Unrecht gezahlten Gehälter hinaus auch die Zinsen dafür und die Anwaltskosten der Stadt umfassen.
Delanoe erinnert daran, dass es solche finanziellen Einigungen auch schon in der Vergangenheit gab. So hat der seinerzeitige »Stadtkämmerer« und spätere Premier Alain Juppé im Zusammenhang mit einem anderen Verfahren um illegale Parteienfinanzierung aus der Stadtkasse, bei dem er zu einer Geldstrafe und einem Jahr Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt wurde, zur Vermeidung eines zivilrechtlichen Schadenersatzprozesses freiwillig 900 000 Euro an die Stadt zurückgezahlt. Die Gewerkschaft Force Ouvrière (FO) erstattete 228 000 Euro, nachdem bekannt geworden war, dass die Stadt Paris beziehungsweise Chiracs Nachfolger im Bürgermeisteramt – aus Gefälligkeit und sicher auch aus politischem Kalkül – jahrelang den Chauffeur und Leibwächter des FO-Vorsitzenden Marc Blondel bezahlt hat.
Im Verfahren gegen Chirac ist der Verzicht der Stadt auf ihre Klage von entscheidender Bedeutung, denn die Staatsanwaltschaft hat schon angekündigt, dass sie den Freispruch Chiracs beantragen wird, weil »kein öffentliches Interesse an einer Bestrafung« bestehe. So ist nicht ausgeschlossen, dass Chirac gleich am ersten Prozesstag den Gerichtssaal wieder erleichtert und als »unbescholtener« Bürger verlässt. Es sei denn, die Richter sehen das alles ganz anders und bestehen aus eigener Initiative auf Verfahren und Urteil.
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