Penthesilea frisst Achill

Gefängnistheater aufBruch bringt die Tragödie auf die Museumsinsel

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.
Großes Drama, monumentale Kulisse: die Kompanie aufBruch auf der Museumsinsel
Großes Drama, monumentale Kulisse: die Kompanie aufBruch auf der Museumsinsel

Am Ende vermeint man, dass die Luft von Militärkluftgeruch und Schweiß über dem Spielort schwer geworden ist. Die Schlacht ist beendet. Nichts ist gewonnen. Die Liebe hatte keine Chance.

Unter freiem Himmel zwischen dem Neuen Museum und der Alten Nationalgalerie zeigt das Gefängnistheater aufBruch, das einmal im Jahr außerhalb von Strafvollzugsanstalten agiert, nach Heinrich von Kleist »Penthesilea und Achill«. 23 Mitwirkende des gemischten Ensembles von ehemals Inhaftierten und professionellen Schauspielern erarbeiteten die zweistündige Fassung der Tragödie unter der Regie von Peter Atanassow. Für ihr archaisches Spiel, gefördert von der Berliner Kulturverwaltung und der Klassenlotterie, fanden sie Unterstützung beim Besucherdienst der Staatlichen Museen zu Berlin, der auch beim Programmheft half.

Die Gebäudeschlucht wird vor der Zuschauertribüne zum Kriegsschauplatz. Hier sammeln sich die Griechen, um die Mauern von Troja zu stürmen. Doch es will nicht gelingen, auch wenn Odysseus (Thorsten Heidel) Achill zur Hilfe ruft und nicht fassen kann, was dann geschieht. Denn Achill bringt nicht zustande, was andere erhoffen. Ihn trifft Amors Pfeil. Er begehrt und wird begehrt von Penthesilea, der schönen Amazonenkönigin, die mit den ihren auf dem Kriegsschauplatz ankommt. Warnende Stimmen der jeweiligen Kampfgefährten werden in den Wind geschlagen. Denn den Amazonen ist es nicht gegeben, sich ihren Partner selbst zu wählen. Mars bestimmt, mit wem sie sich vereinen dürfen, nachdem sie ihn im Kampf bezwungen haben.

Der Krieg formt den Menschen. Wie im Rausch geht Penthesilea mit ihren Hunden los und zerfetzt zusammen mit ihnen Achill. Sie sagt »Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, Kann schon das Eine für das Andre greifen.« Als sie wieder zu sich kommt, folgt sie entsetzt Achill in den Tod. Von den Gesetzen der Amazonen sagt sie sich los.

Atanassow arbeitet ausgezeichnet mit dem Areal, das eine gute Akustik bietet. Er verzichtet auf weitere Kulisse. Auf der leicht ansteigenden Auffahrt zwischen den Häusern und in den Kolonnaden lässt er die Heere parallel aufmarschieren. Dort und davor gehen sie aufeinander los oder ziehen aneinander vorbei. Valerie Kroener schuf dafür eine eindrucksvolle Choreografie. Die Kostüme von Sandra Li Maennel Saavreda sind einfach. Die Griechen tragen grüne Militärmäntel, die Frauen Armeehosen und -westen, darunter schwarze Korsagen, die trotz aller kämpferischen Aggressivität ihre Weiblichkeit betonen.

Bravorufe gab es bei der Premiere. Denn die Akteure absolvierten das textintensive Stück mit großem Ernst, voller Kraft und Können. Niemand schonte sich. Der Regisseur formierte Sprechchöre der Griechen und Amazonen. Die Rollen von Penthesilea und Achill besetzte er jeweils dreifach mit Annette Höpfner, Jennifer Münch und Ute Reintjes, Para N. Kiala, Christian Schaefer und Sezar. Die Aussage verstärkend lässt er sie zeitweise in einer Reihe nebeneinander spielen. Beeindruckend mutig wie verzweifelt geben sie sich.

Heinrich von Kleist empfand den eigenen Dienst beim Militär als unerträglich. Seine »Penthesilea« schuf er nach dem Sagenkreis des Trojanischen Krieges. Er verstärkte ihr Leid für die Aussage der Unvereinbarkeit von persönlichen Wünschen und gesellschaftlichen Interessen. Der Dichter war sich bewusst, dass die Tragödie nicht jedermann gefallen würde. Daher rührt wohl die wie eine das Stück schützende Distanz zum Publikum. Atanassow belässt es dabei.

Die Hinzunahme von Textpassagen von Volker Braun, Stefan Schütz und Sunzi über Krieg und Amazonen sollen das Kleist'sche Trauerspiel zwar für heute deutlicher, aber nicht versöhnlicher machen. Überraschend ist der Einbau unterschiedlicher Musikgenres in der Inszenierung. Was sagt man dazu, wenn im Kriegsgerassel das Militär singt »Davon geht die Welt nicht unter«? Doch.

Wieder 8.-12.9., 19 Uhr, Museumsinsel, Bodestr. 1, Mitte, Karten (15/19 Euro) in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Tel.: 24 06 57 77 oder ab 18 Uhr am Spielort

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