Barack Obama gibt kräftig Gas
Der USA-Präsident macht mit einem milliardenschweren Infrastruktur-Programm Wahlkampf
In der Not kommt man auf die seltsamsten Ideen. Um die Finanzlöcher zu stopfen, lassen manche Stadtväter ihre Kommunen inzwischen nicht nur im Dunkeln oder entlassen gleich alle Polizisten des Ortes. Gino DiSimone, Kandidat für das Gouverneursamt im Bundessaat Nevada, möchte bei den Autofahrern kassieren – mit einer Art Raserplakette. Wer Gas geben will, soll auf bestimmten Highways gegen Geld schneller fahren dürfen, als es die Polizei eigentlich erlaubt. DiSimone steckt im Wahlkampf, wie seit gestern auch Barack Obama. So kämpferisch wie am Labor Day, der traditionell das Ende der politischen Sommerferien markiert, hatte man den Präsidenten schon lange nicht gesehen. Mit hoch gekrempelten Hemdsärmeln gab er vor Arbeitern in Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin den Krisenmanager.
Genau in dieser Funktion hat Obama die Wähler bisher enttäuscht, die ihm in Wirtschafts- und Jobfragen immer weniger die versprochene Wende zutrauen. Das schlägt sich in seiner persönlichen Popularität nieder, die bei Umfragen mit 45 Prozent Zustimmung so niedrig liegt wie noch nie, und schmälert unübersehbar auch die Chancen seiner Partei bei den »Midterm election«, den Wahlen in der Mitte der vierjährigen Präsidentschaft, wenn im Repräsentantenhaus alle 435 und im Senat zwei Drittel der 100 Sitze neu besetzt werden. Noch haben die Demokraten in beiden Häusern des Parlaments die Mehrheit, sollte sie verloren gehen, bräuchte Obama für jedes Gesetz die Zustimmung der Konservativen Republikanern. Und der Druck von rechts wächst mit jedem Tag, wobei die schlechte wirtschaftliche Lage eine Trumpfkarte der Republikaner ist.
Die flaue Konjunktur kommt trotz eines im Vorjahr beschlossenen 800-Milliarden-Dollar-Programms nicht in Schwung. Zwar soll es nach Berechnungen des unabhängigen Budget-Büros im Kongress 3,3 Millionen Jobs gerettet haben, doch sind inzwischen 9,6 Prozent der US-Amerikaner ohne Arbeit. Im Juli sank die Zahl der Hausverkäufe im Vergleich zum Vorjahr dramatisch um 26 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs aufs Jahr gerechnet zwischen April und Juni lediglich um magere 1,6 Prozent, noch ein Mal weniger als die ohnehin schon nach unten korrigierten Schätzungen.
Deshalb nutzte der Präsident seinen Auftritt für eine Doppelstrategie: Zum einen attackierte er die Republikaner, die für den Ausbruch der Finanzkrise 2008 verantwortlich gewesen seien und »die Wirtschaft in den Graben gefahren« hätten. Er jedenfalls wolle sie nicht zurück ans Steuer lassen, »sie können nicht fahren«. Um seine eigene Fahrtüchtigkeit zu demonstrieren, präsentierte Obama zugleich ein weiteres Konjunkturpaket, um »unsere Mittelklasse zu stärken und die Wirtschaft wieder auf die Beine zu stellen«. Dafür will man eine Infrastruktur-Bank zur Finanzierung landesweiter und regionaler Projekte gründen.
Mit einem Investitionsvolumen von 50 Milliarden Dollar sollen in den nächsten sechs Jahren über 240 000 Kilometer Straßen, 6400 Kilometer Eisenbahnschienen und 240 Kilometer Rollbahnen von Flughäfen erneuert und ausgebaut werden. Bisher für ein hoch entwickeltes Industrieland oft marode, sollen die USA nun »die beste Infrastruktur in der Welt« erhalten, verkündete der Präsident. Schon zuvor war bekannt geworden, dass massive Steuererleichterungen (100 Milliarden Dollar über zehn Jahre) für Unternehmen die Entwicklung neuer Technologien belohnen sollen, erhofft sich die Regierung doch damit die dringend benötigten neuen Arbeitsplätze – realistischerweise aber frühestens im nächsten Jahr.
Während Nobelpreisträger Paul Krugman weitere staatliche Konjunkturprogramme fordert, sind die für die Republikaner nur Verschwendung von Steuergeldern. Auch das neue Infrastruktur-Programm sei lediglich mit einer weiteren Steuererhöhung verbunden, kritisierte ihr Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell. Schon jetzt liegt die Staatsverschuldung bei astronomisch hohen 13 Billionen Dollar (10 Billionen Euro) und ist bei vielen Bürgern so unpopulär wie der Präsident. Schlecht für den Urnengang.
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