Bald griechische Verhältnisse?
Ver.di-Chef Bsirske warnt vor Sozialkahlschlag aus Finanznöten
»Er bleibt ein Wolf im Schafspelz«, kommentierte ver.di-Landesleiter Jürgen Bothner Versuche des Ex-Innenministers Bouffier, sein »Hardliner-Image« abzulegen. Gegen Bouffiers Vorstoß für eine Schuldenbremse in der Landesverfassung per Volksabstimmung werde sich ein Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen und Sozialverbänden formieren. Anstatt Hessen kaputt zu sparen, müsse ein handlungsfähiger Staat Daseinsvorsorge betreiben und für gerechte Einnahmen aus den Taschen der Vermögenden und Großverdiener sorgen, so der Gewerkschafter. »Wir haben eine Chance, den Volksentscheid zu unseren Gunsten zu entscheiden«, zeigte sich Bothner zuversichtlich.
Vor »weitreichenden Weichenstellungen« als Folge des Sparpakets der Bundesregierung warnte ver.di-Chef Frank Bsirske. Dieses Programm sei »konkret« bei Erwerbslosen und abhängig Beschäftigten, dagegen aber »vage« bei Vermögenden und Spitzenverdienern. Dass sich Deutschland zum Steuerparadies für Reiche entwickelt habe, sei nicht »gottgegeben«, sondern ein »Produkt politischer Entscheidungen« der Bundesregierungen seit Ende der 1990er. Obwohl jeder Steuerfahnder und Betriebsprüfer netto eine Million Euro pro Jahr einbringe, sei eine Einstellung von mehr Finanzbeamten nicht gewollt.
Der bewusste Verzicht auf Steuereinnahmen habe viele Kommunen dem Bankrott nahe gebracht, kritisierte Bsirske weiter. So müssten Städte im Ruhrgebiet teure Kassenkredite aufnehmen, um Zinsen für Altkredite oder die Gehälter ihrer Beschäftigten zu bezahlen. Es sei »hammerhart«, dass die Kommunalaufsicht Großstädten wie Oberhausen oder Duisburg die Einstellung neuer Auszubildender verbiete. Ver.di wolle daher die Herbstkampagne »Gerecht geht anders« mit der kommunalen Finanznot verbinden und Kommunalpolitiker für die Forderungen nach einer »gerechten Steuerpolitik« gewinnen.
Bsirske warnte davor, dass bei weiterer kommunaler Haushaltsnot die Schließung von Kultur-, Jugend- und Sporteinrichtungen, massive Gebührenerhöhungen und schmerzhafter Personalabbau auf dem Programm stünden. Dann drohten auch in Deutschland »griechische Verhältnisse«. Statt des von der Bundesregierung anvisierten Wegfalls der Gewerbesteuer seien zur Stärkung der Gemeindefinanzen auch gut verdienende Selbstständige in die Gewerbesteuerpflicht einbeziehen.
Eine Diskussion über die Verstaatlichung von Banken und Versicherungen regte die Personalratsvorsitzende am Klinikum in Frankfurt-Höchst, Margarete Wiemer, als Konsequenz aus der Wirtschaftskrise und der öffentlichen Finanznot an. »Das sind Fragen, über die nachzudenken sich lohnt«, griff Bsirske diese Anregung auf. Er befürwortete eine Diskussion »auch über Vergesellschaftung, gesellschaftlichen Einfluss auf Unternehmensführungen und Demokratisierung der Wirtschaft.«
In den dezentralen Aktionen in diesem Herbst gehe es »um eine Etappe im Kampf um Meinungsführerschaft im Lande« und nicht um ein einmaliges »Feuerwerk«, betonte Bsirske. Am heutigen Mittwoch ist der ver.di-Chef in Braunschweig auch Hauptredner auf einer von mehreren Gewerkschaften veranstalteten Protestkundgebung, zu der zahlreiche Teilnehmer von Betriebs- und Personalversammlungen erwartet werden. Ähnliche Aktivitäten und fantasievolle Aktionen stehen auch in Hessen an. In Frankfurt am Main wollen Gewerkschafter in enge Skelettanzüge schlüpfen und mit der Aufschrift »Die Rente mit 67 kam für uns zu spät« gegen die Rente mit 67 und Rentenkürzungen protestieren.
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