»Die ganze Insel ist ganz prächtig«

Die »Rote Kapelle« in Teupitz – auf den Spuren von Harro und Libertas Schulze-Boysen

  • Lothar Tyb'l
  • Lesedauer: 6 Min.
Das offizielle Berlin steht noch immer vor der Aufgabe, der »Roten Kapelle« neben dem Widerstand der Gruppen um den 20. Juli 1944 die gebührende Achtung zu schenken. Eine Geschichte aus der märkischen Kleinstadt Teupitz soll das verdeutlichen.

Am 22. Dezember 1980 wurde an der Fassade des ehemaligen Gasthauses »Zum goldenen Stern« am Markt 1 in Teupitz, zu diesem Zeitpunkt als Arztpraxis genutzt, eine Gedenktafel eingeweiht. Der Text lautete: »Ehrendes Gedenken dem Antifaschisten und Kundschafter der Sowjetunion Harro Schulze-Boysen, geb. am 2. September 1908, und seiner Ehefrau Libertas, geb. am 20. November 1913, die 1942 zeitweilig in Teupitz wirkten und wegen ihres mutigen Kampfes gegen den Faschismus am 22. Dezember 1942 im Zuchthaus Plötzensee ermordet wurden.«

Die Gleichgültigkeit der Stadtväter

Initiator dieser Ehrung war das Mitglied der Schulze-Boysen/Harnack-Organisation Hans Sußmann, wohnhaft in Teupitz seit 1945, Bürgermeister und Vorsitzender der städtischen Kommission zur Vergabe von Westgrundstücken. Seine Bemühungen, schon in den 50er Jahren eine Gedenktafel anzubringen oder eine Gedenkstätte einzurichten, waren ohne Erfolg geblieben. In der Stadtchronik schrieb Sußmann 1981, dass sich nunmehr um die Ehrung auch das Kreiskomitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer Königswusterhausen mit Unterstützung eines Ministeriums der DDR bemüht hatte. Mit dieser Umschreibung war das MfS gemeint, das offenbar nicht selbst und direkt in Erscheinung treten wollte, obwohl es die Traditionspflege zu dieser Widerstandsorganisation förderte und mitbestimmte.

Das illegale Wirken der Geehrten in Teupitz wurde nach Sußmanns Angaben durch Veröffentlichungen von Greta Kuckoff, Alexander S. Blank und Julius Mader sowie eine Reihe amtlicher Dokumente bestätigt. Bei Greta Kuckhoff, die selbst der Widerstandsorganisation angehört hatte und 1950 bis 1958 Präsidentin der Staatsbank der DDR war, heißt es: »Ihnen (Libertas und Harro) gehörte ein Grundstück auf der damals kaum erschlossenen Insel im Teupitzsee.« Dort sollten u. a. auch Fallschirmspringer, deutsche Antifaschisten, die von der Roten Armee über Deutschland und deutsch besetzte Gebiete abgesetzt wurden, versteckt werden.

Während der »Wende« wurde die Gedenktafel heimlich entfernt. Der Eigentümer, die Stadt, hat nie Anstrengungen unternommen, diesen Vorfall aufzuklären. Da trotz Kritik kein Beschluss zur Neuanfertigung einer Tafel angestrengt wurde, muss man annehmen, dass den politisch Verantwortlichen die Erinnerung an Libertas und Harro Schulze-Boysen gleichgültig ist oder für die Stadt als überflüssig betrachtet wird.

Die erstmalige Publikation von Briefen Harro-Schulze-Boysens durch Hans Coppi und Geertje Andresen 1999 enthält direkte Hinweise auf das Grundstück des Ehepaars. In einem Brief vom 3. Mai 1942 heißt es: »Wir konnten gestern den Zweiten Mai feiern durch einen Ausflug nach Teupitz, um ein von Libs (Libertas) neuerworbenes Grundstück auf einer Insel im Teupitzsee erstmalig zu besichtigen. Mit Freunden fuhren wir vom Görlitzer Bhf. los. Es war ein maßloses Gedränge, und es musste auffallen, wie hochgradig zänkisch und überreizt die Leute schon sind. Dauernd gab es irgendwo Krach, und wenn auch die altbekannten gemütlichen und witzigen Berliner noch lange nicht ausgestorben sind, merkt man eben doch sehr stark das dritte Kriegsjahr. In Großköris schwangen wir uns aufs Rad, mieteten dann in Teupitz ein Ruderboot und, nachdem wir nett zu Mittag gegessen hatten, bestiegen wir unsre Insel.« Und weiter schwärmte Harro Schulze-Boysen: »Das Grundstück und überhaupt die ganze Insel – ist sehr prächtig ... hügelig, teils Wiese, teils Baumbestand, ... unten noch ein kleiner Strand. Auf der übrigen Insel herrscht teils noch Wildnis, teilweise aber stehen auch schon hübsche kleine Wochenendvillen und blühende Gärten. Wir waren also mit unserem Kauf sehr zufrieden, besonders da die Sonne herauskam und uns ein erstes Sonnenbad auf unserem neuen Rittergut ermöglichte.«

Wer Teupitz kennt, dem ist klar, dass es sich um ein Grundstück auf dem Egsdorfer Horst handelt, der größten Insel im Teupitzer See, die 1928 auf der Grundlage eines von der Stadt beschlossenen Bebauungsplanes parzelliert und von der Märkischen Wochenend-Gesellschaft schrittweise verkauft wurde. Dank der Recherchen von Hans Coppi ist auch das Dokument gefunden worden, aus welchem definitiv der bisher umstrittene Kauf eines Grundstücks in Teupitz durch Libertas Schulze-Boysen hervorgeht. Der Kaufvertrag ist vom 3. März 1942 datiert, die Größe des Grundstücks mit 1544 Quadratmetern angegeben. Mit diesen Angaben wandte ich mich 2003 an das Kataster- und Vermessungsamt des Landkreises Dahme-Spree in Lübben und erhielt die aktuelle Grundstücksbezeichnung: Flur 2, Flurstück 132. Nach der Vereinigung war der Bund Eigentümer des in der DDR staatlich verwalteten Grundstücks geworden, das weder in der NS-Zeit nach Einziehung des Vermögens der Schulze-Boysens noch später in der DDR erneut verkauft worden war.

Keine Abhilfe durch Ämter

Bereits 1956 hatte Greta Kuckhoff angeregt, das Grundstück zugunsten der Mutter von Libertas, Gräfin Eulenburg, die damals verarmt in einem Krefelder Altersheim lebte, zu verkaufen. Da diese inzwischen verstorben ist, kommen nun nur noch die Geschwister in Frage – der Bruder von Libertas, Johannes Haas-Heye, und der Bruder von Harro, Hartmut Schulze-Boysen, zwei in den alten Bundesländern lebende, hoch gebildete, weit über 80 Jahre alte Herren von erstaunlicher geistiger Frische, politischer Sachkunde und großer persönlicher Anteilnahme für den Kampf und das Schicksal ihrer von den Nazis ermordeten Geschwister.

Am 30. April 2003 erteilte Johannes Haas-Heye mir die schriftliche Vollmacht zur Einleitung der Aktivitäten für die Rückübertragung des Grundstücks auf dem Egsdorfer Horst. Vertraut mit der deutschen Bürokratie, hatte er zugleich gewarnt, dass ein Wunder geschehen müsse, wenn die ehrenamtlichen Aktivitäten zu einem Erfolg führen sollten. Wie Recht er hatte, erfuhr ich während der folgenden behördlichen Auseinandersetzungen. Das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (LAROV) lehnte eine Rückübertragung ab, weil die gesetzlich vorgeschriebene Antragsfrist, der 31. Dezember 1992, überschritten und 1942 keine Eigentumsbildung zugunsten von Libertas Schulze-Boysen erfolgt sei.

Libertas hatte am 3. März 1942 einen Kaufvertrag mit der Märkischen Wochenend-Gesellschaft abgeschlossen. Eine Eintragung ins Grundbuch, selbst eine Auflassungsvormerkung, war nicht mehr zustande gekommen, weil sie und Harro schon im September 1942 von der Gestapo festgenommen und am 22. Dezember 1942 hingerichtet worden sind. Insofern hat in der Tat keine Eigentumsbildung stattgefunden. Das Argument, dass dies im gegebenen Fall durch staatlichen Mord verhindert worden ist, war für das Amt nicht zwingend. Dass erst mit der Wende Bedingungen für exakte Recherchen zu diesem Vorgang heranreiften und der Antrag deshalb nicht zur gesetzlich vorgeschriebenen Zeit gestellt werden konnte, überzeugte das Amt ebenso wenig.

Gegenüber dem Bundesvermögensamt argumentierte ich anders, gestützt auf die Erfahrungen mit dem LAROV. Es gehe nicht um eine Rückübertragung, sondern um die nachträgliche Eintragung des 1942 abgeschlossenen Kaufvertrages ins Grundbuch, die damals durch die Ermordung der Käufer verhindert wurde und erst jetzt nachgeholt werden könne. Als jetziger (Voll-)Eigentümer könne der Bund darüber hinaus das Grundstück verkaufen, verschenken, vererben, verpachten, nutzen und auch einem rechtmäßigen Käufer zurückgeben. Die lakonische Antwort des Amtes lautete, die haushaltsrechtlichen Vorschriften des Bundes sehen unentgeltliche Übertragungen grundsätzlich nicht vor und lassen hiervon auch keine Ausnahmen zu. Das Amt könne keine Abhilfe schaffen und eine Bewertung der damaligen Vorgänge stehe ihm nicht zu.

Diese Entscheidungen offenbaren mangelndes Einfühlungsvermögen und fehlenden politischen Mut. Was hindert die hoch dotierten und rechtsmächtigen Leiter beider Ämter daran, selbst die Initiative zur Lösung des ihnen vorgetragenen Anliegens zu ergreifen? Dem Hinweis des LAROV, den gerichtlichen Weg, gegebenenfalls über das Bundesverfassungsgericht, zu beschreiten, erschien den Erben von Libertas und Harro unzumutbar und so beendeten wir erfolglos den ernüchternden Streit. Zwei Bundesämter hatten die Übertragung des 1942 gekauften Grundstücks blockiert.

Die rechtmäßigen Nutzer des Grundstücks seit 1962, das Ehepaar Moritz und Sonja Mebel, hingegen unterstützen, geprägt durch ihre eigenen antifaschistischen Erfahrungen, die Rückübertragung an die rechtmäßigen Erben. Hat doch der international anerkannte Mediziner Moritz Mebel 1941 bis 1945 in der Roten Armee den gleichen Zielen gedient wie Harro und Libertas Schulze-Boysen.

Es wäre an der Zeit, wenigstens die verschwundene Gedenktafel für Harro und Libertas Schulze-Boysen in Teupitz durch eine neue zu ersetzen.

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