Gesundheit wird teurer
Scharfe Kritik an der Verabschiedung der Reformpläne durch das Kabinett
Bis Weihnachten wird sich nicht viel tun. Gesundheitsreformen werden hier zu Lande stets so gestaltet, dass die Veränderungen in kleinen Schritten erfolgen. Im Januar steigt der allgemeine Beitragssatz. Später werden sich vermutlich vielfach Zusatzbeiträge ankündigen; wo sie vorhanden sind, könnten sie steigen. Wer sie nicht entrichtet, soll Strafe zahlen. Die Industrie wird vermutlich an der Preisspirale bei Medikamenten drehen, ermuntert von der Regierung und ihrem Arzneimittelgesetz. Der Steuerzuschuss für die Krankenkassen wird mit Sicherheit wieder in Frage gestellt werden. Pharmafirmen, Ärzte und Krankenhäuser könnten klagen, dass ihre Einnahmen zu wenig steigen, Unternehmer die weitere Absenkung ihrer Krankenkassenabgaben fordern. Nur der Versicherte wird nichts mehr fordern können. Er muss die steigenden Gesundheitsausgaben künftig allein bestreiten, das ist die entscheidende Botschaft von gestern.
Als massivsten Eingriff in die Architektur des Sozialstaats seit Bestehen der Bundesrepublik kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband die Pläne. Sie seien unsozial und die Lizenz zum unbegrenzten Abkassieren der Versicherten. Die Volkssolidarität und der Sozialverband Deutschland fordern von der Bundesregierung den Erhalt und die Fortentwicklung der solidarischen Krankenversicherung, erklärten die beiden Verbandspräsidenten Prof. Dr. Gunnar Winkler und Adolf Bauer auf einer Fachveranstaltung am Mittwoch in Berlin. Das Vorhaben stehe für die Privatisierung der Gesundheitskosten und bedeute einen Systemwechsel, der durch die Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge das Solidarprinzip auf den Kopf stelle. Ablehnung und Kritik kamen auch von den Grünen, der SPD, dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte sowie weiteren Organisationen und Verbänden. Sogar der CDU-Sozialflügel hat die schwarz-gelbe Reform als »sozial unausgewogen und bürokratisch« kritisiert.
»Diese Reform ist ein Systembruch. Sie ist gut für die Lobbyisten von Pharmaindustrie und Privater Krankenversicherung, aber Gift für den sozialen Frieden in Deutschland. Die Kopfpauschale ist eine unsoziale Zeitbombe, die eine solidarische Gesundheitsversicherung endgültig zum Platzen bringt«, urteilte Harald Weinberg von der LINKEN im Bundestag. Fraktionskollegin Martina Bunge nannte sie einen »Raubzug durch die Portemonnaies von Gering- und Normalverdienern und Patienten«.
Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler verteidigte seinen Gesetzentwurf als alternativlos. Mit seinem Gesetz komme eine unvertretbare Belastungswelle auf 90 Prozent der Bevölkerung zu, die Arbeitnehmer bis weit in die Mittelschicht hart treffen und Geringverdiener sowie Rentner bald überfordern werde, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Sie rief die CSU auf, das Gesetz noch zu stoppen. Der DGB will Unterschriften dagegen sammeln und kündigte einen Alternativvorschlag an.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.