Liebelei und Hahnenkampf
Das Arsenal präsentiert eine Retrospektive mit Filmen von Claire Denis
Für gefälliges Kino ist die Regisseurin Claire Denis nicht zu haben. Ein Journalist schrieb sogar, dass es unmöglich sei, den Inhalt ihrer Filme zusammenzufassen. Denn bei der heute 62-Jährigen stehen immer die Figuren im Vordergrund, selten erzählt sie ihre Geschichten linear.
So handelt etwa ihr Film »L’intrus« (Der Eindringling, 2004) von einem zwielichtigen alten Mann (Michel Subor), der aus der Einöde der Schweizer Berge zu einer letzten Reise in die Südsee aufbricht. Neben rauschhaften Naturerfahrungen des Helden erzählt der Film mit Rückblenden und Parallelmontagen auch von seinen – teilweise tödlichen – Verfehlungen und verstärkt dabei sogar sein Mysterium.
Unter dem Titel »Fremd-Körper« zeigt das Kino Arsenal nun den ganzen Oktober über eine umfassende Retrospektive von Denis’ Spiel- und Dokumentarfilmen. Das Wortspiel ist Programm, denn zum einen nimmt Denis im französischen Kino durch ihren eigenwilligen Stil eine Sonderstellung ein. Zum anderen sind auch ihre Figuren Fremde – örtlich und im Geiste.
Wiederholt beschäftigt sich die Tochter eines französischen Kolonialbeamten mit Afrika. Im Kamerun der Kolonialzeit spielt etwa ihr autobiografisch gefärbter Erstling »Chocolat« (1988). Darin entwickelt die Tochter eines französischen Militärs ein inniges Verhältnis zu dem attraktiven und klugen schwarzen Hausdiener der Familie, Protée (Isaac de Bankolé). Bei der Mutter löst der Mann dagegen Gefühle aus, die aufgrund des gesellschaftlichen Tabus gewaltsam verdrängt werden müssen. Kolonialistische Arroganz und die Frustration aller Beteiligten zeigt Denis ohne wertenden Zeigefinger.
»Sie weigert sich hartnäckig, über ihre Figuren zu urteilen«, charakterisierte denn auch der Regisseur Jim Jarmusch, für den sie einst als Regieassistentin wirkte, Denis’ Filme. Diese Beobachtung ist umso treffender, als Denis’ Helden selten zur Identifikation taugen. Denn Denis ignoriert jede Form von Psychologisierung ihrer Figuren, ebenso wie explizite Motive für deren (Fehl-)Verhalten.
Trotzdem berührt einen das spröde Geschwisterpaar in »Nénette und Boni« (1996): die schwangere Schwester und der Bruder, der sich in erotische Fantasien flüchtet. Das Objektiv von Denis’ Kamerafrau Agnès Godard kommt dem Paar beängstigend nahe und belässt den Figuren doch ihre Seele. Objekte beschreiben hier die Helden auf mitunter rührende Weise: So befriedigt Boni (Grégoire Colin, der Lieblingsschauspieler Denis’) nichts mehr, als das Dröhnen seiner neuen Kaffeemaschine.
»Vendredi Soir« (Freitagabend, 2002) dagegen erzählt eine Nacht lang die Zufallsliebelei zweier wildfremder Menschen. Blicke, Geräusche, Gesten – mehr braucht Denis nicht, um die Gefühle des Mannes und der Frau auszudrücken.
Die generell sparsamen Dialoge bei Denis tragen wenig zur Verständigung bei. Auch die afrikanischen Hahnentrainer in »S’en fout la mort« (Scheiß auf den Tod, 1990) beobachtet sie mehr beim Handeln, etwa dem Training ihrer Vögel für den Hahnenkampf in einem Pariser Vorort. Der Tierkampf gerät hier zum Symbol für Verrohung und Geringschätzung des Lebens in der westlichen Welt.
Am 1. Oktober stellt Claire Denis im Arsenal persönlich ihren letzten Film, das Bürgerkriegsdrama »White Material« (2009), vor. Er spielt wieder in Afrika, ebenso wie das Meisterwerk »Beau travail« (1999). Einsamkeit, Sehnsucht und Eifersucht sind die Themen dieses in betörenden Bildern gehaltenen Films, der das Motto der Retrospektive unterstreicht. Viel ist über die Ästhetik des Films geschrieben worden und seine Darstellung von Soldaten der französischen Fremdenlegion, die – zu den Opernklängen von Benjamin Britten – mit nackten Oberkörpern in der Wüste den Zweikampf trainieren. Packend in diesem elliptisch erzählten Drama ist jedoch vor allem die Rivalität zweier ungleicher Soldaten.
1. bis 31. Oktober, Arsenal, Tel: 269 551 00, Infos unter www.arsenal-berlin.de
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