Wer reist von Paris nach Bratislava über Stuttgart?
Das Geld wäre für andere Projekte sinnvoller ausgegeben
Während nach Ansicht des Züricher Planungsbüros SMA und Partner im Auftrag der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg das Projekt Stuttgart 21 »auf Kante« genäht ist und durch den Eisenbahnknoten erst recht zum Nadelöhr wird, könnten einen Verzicht auf den Tunnelbahnhof andere Neu- und Ausbau-Projekte, die nach dem Bundesverkehrswegeplan zum »Vordringlichen Bedarf« zählen, gesichert werden.
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hatte bereits Anfang März eingeräumt, dass zwischen der Wunschliste des Verkehrswegeplans und den vom Bund bereit gestellten Finanzmitteln eine riesige Lücke klaffe. Winfried Hermann, Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses, rechnete vor: Bis 2025 brauche man alljährlich 1,8 Milliarden Euro, geplant werden aber nur 1,2 Milliarden Euro.
Da bleibt einiges auf der Strecke wie das unter Thüringens Lokal- und Landespolitikern umstrittene Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nummer 8, die Hochgeschwindigkeitsstrecke Halle/Leipzig-Erfurt- Nürnberg, deren Bau seit der Grundsteinlegung im April 1996 vor sich hin dümpelt. Gebaut wird nach Kassenlage und damit das Baurecht nicht verfällt. Während die Autobahnen rasch erweitert bzw.. fertiggestellt waren, blieb der Verkehrswert des Bahnprojektes, das 8 Milliarden Euro kostet, nach einem langen Zeitraum immer noch bei Null!
Das Oberrheintal ist von Güterzügen zwischen Deutschland und Italien über die Gotthardbahn, deren Basistunnel 2007 in Betrieb gehen soll, überlastet. Neu- und Ausbau dieses Abschnitts sind finanziell nicht gesichert. Für neue oder erweiterte Schienenwege des Nordseehäfen-Hinterlandverkehrs Bremen und Hamburg-Hannover sind nur Mittel für die Planung bereitgestellt, für den Bau nichts. Ein neuer Schienenweg von Wilhelmshaven, wo ein Tiefwasserhafen für große Containerschiffe entsteht, nach Oldenburg wird versprochen, mehr nicht. Genauso warten die Strecke München-Mühldorf und das Chemiedreieck bei Burghausen auf Erweiterung. Viele Knoten der Ballungszentren wie Berlin, Dresden, Frankfurt am Main und des Ruhrgebiets, brauchten für die Verbesserung des Berufsverkehrs Investitionen. Die Strecke Berlin-Dresden wartet auf eine Finanzierungsvereinbarung des Bundes, damit Reisezeiten wie zur Reichsbahn-Zeit wieder unterschritten werden.
Politiker in Baden-Württemberg träumen von ihrem unterirdischen Bahnhof als wichtiger Station zwischen Paris und Bratislava. Einen solchen zu fördernden Korridor hatten die EU-Bürokraten einmal bestimmt, ohne dass sie der Kopfbahnhof störte. Wer tatsächlich mit dem Zug von Frankreich nach Bratislava reist, wählt andere Wege als den durch Schwaben. Der Güterverkehr strömt über Mannheim- Frankfurt am Main in Richtung Nürnberg-Passau. Aber ausgerechnet für die dazu gehörende und seit Jahrzehnten gewollte Ausbaustrecke Mannheim-Frankfurt fehlt es an der Finanzierung.
Karl-Peter Naumann, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes PRO BAHN, fordert zu klären, welcher Zusammenhang zwischen der Bahnhofsgestaltung in Stuttgart und der Neubaustrecke über die Schwäbische Alb besteht. »Die Neubaustrecke von Wendlingen bis Ulm kann auch ohne den Tunnelbahnhof gebaut werden und bringt den größten Teil der für Baden-Württemberg erwünschten Fahrzeitverkürzung«, erklärte Naumann. »Es besteht jetzt die Gefahr, dass diese Chance vertan wird, weil nur noch über den Bahnhof diskutiert wird.«
PRO BAHN forderte die Bundesregierung auf, die bisherige Rangfolge für Investitionen in das deutsche Schienennetz den Anforderungen der Europäischen Union anzupassen. Die verlangt, vorrangig Engpässe auf den internationalen Transitkorridoren zu beseitigen, wieder ohne dabei Stuttgart zu nennen.
Naumann von PRO BAHN kennt weitere Engpässe: »Emmerich-Duisburg, Minden-Hannover sowie die gesamte Verbindung Lübeck- Kufstein. Die deutsche Politik hat aus Prestigegründen die notwendigen Investitionen auf diesen Streckenabschnitten vor sich hergeschoben und war nicht bereit, den Anforderungen eines Transitlandes Rechnung zu tragen.«
Sollte München für die Olympischen Winterspiele den Zuschlag erhalten, müsste bis dahin die zweite S-Bahn-Tunnelstrecke fertiggestellt und der Hauptbahnhof endlich umgebaut werden – ein ebenfalls seit Jahren aufgeschobenes Vorhaben. Das kostet auch viel Geld, ist aber nötiger als das Stuttgart-Projekt. Dabei sollte sich dort der Tunnelbahnhof ursprünglich vor allem durch den Verkauf frei gewordener Immobilien rechnen.
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