»Rückschlag für Schwarz-Grün«
Reiner Priggen über Stuttgarter Prügelorgien, Schulden in NRW und das Erstarken der Grünen
ND: Die Grünen sind derzeit im Allzeit-Umfragehoch. Schon spekuliert der »Spiegel« halb ernst über einen »Bundeskanzler Jürgen Trittin«. Ist das nicht ein bisschen verfrüht?
Priggen: Ja sicher, auch Mainz 05 steht im Moment auf Platz eins der Fußballbundesliga und wird nicht deutscher Meister. Aber die grünen Kernthemen – Klimaschutz, zukunftsfähige Energiepolitik, die Frage, ob wir den Planeten zu Grunde richten – stehen auf der Tagesordnung. Und davon werden sie auch nicht mehr verschwinden. Wir haben 30 Jahre lang konsequent zu diesen Themen gearbeitet. Das erklärt einen gewissen Teil der Sympathie für die Grünen. Es ist aber auch eine Herausforderung.
In Baden-Württemberg könnte mit Winfried Kretschmann erstmals ein Grüner Ministerpräsident werden, was die grüne Aufstiegsdynamik gewiss nicht stoppen würde. Wo würde das enden?
Es gibt ein schönes altes Zitat von Wolf Wondratschek: »Auch bei hoher Geschwindigkeit steht die Kirche mitten im Dorf«. Umfragewerte sind zum Teil interessengeleitet. Real ist, was hinterher bei den Wahlen herauskommt. Hoffentlich kriegt der Mappus eine ordentliche politische Quittung für das, was er da gemacht hat. Im Prinzip war das ein Überfall auf die jungen Leute, um sich politisch zu profilieren. Und das geht nicht. Aber bis zur Landtagswahl wird noch ein halbes Jahr vergehen. Und wenn wir Grünen dann etwas weniger als die prognostizierten 27 Prozent holen, ist das immer noch traumhaft.
Wo ist Schwarz-Grün nach den Stuttgarter Prügelorgien eigentlich noch eine Option?
Ich glaube, dass zumindest in Baden-Württemberg ein deutlicher Rückschlag für die Option Schwarz-Grün zu konstatieren ist. Das muss Herr Mappus sich aber selber zurechnen.
Fast schon ein wenig Substandard sind die 12 bis 17 Prozent, die Ihr grüner Landesverband derzeit in Umfragen aufweist. Wie kommt's?
Ich glaube einfach, dass die Umfragewerte in Nordrhein-Westfalen realer sind. Auch unsere Werte sind daher sehr, sehr gut. Es gibt in NRW auch gar keinen Bedarf für eine Wahl. Das Wahlergebnis vom 9. Mai war hochgradig kompliziert. Nun machen wir etwas, das es in Westdeutschland bisher noch nicht gegeben hatte: eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten. Die Politikwissenschaft sagt, wir müssten alleine deshalb lange durchhalten, damit dieses Phänomen ordentlich erforscht werden kann.
Wie fühlt man sich denn als Miturheber einer Rekordverschuldung?
Rot-Grün hat noch nicht einen Euro neue Schulden gemacht. Und auch der gerade erst eingebrachte Nachtragshaushalt finanziert nicht ein einziges rot-grünes Projekt. Das tut den Kollegen von der LINKEN ja manchmal weh. Die wollen, dass wir neue Projekte in den Nachtragshaushalt einstellen. Aber wir machen das ganz korrekt: Wir stellen in den Haushalt ein, was wir an schwarz-gelben Altlasten gefunden haben, zum Beispiel 1,3 Milliarden für die WestLB-Risiken.
Bei der Dortmunder Firma Envio wurde unlängst ein Giftskandal öffentlich. Es geht, so die Lokalpresse, um »Gift, Geld, Gier«, es geht um Arbeiter, die mit PCB und Dioxin verseucht wurden. Eigenwerbung Envio: »Speziallösungen im Umweltsektor«. Es ist nicht alles Gold, was grünt, oder?
Bei Envio wurden hochgradig PCB-haltige Transformatoren, so wie es aussieht, unter unglaublich schlechten Sicherheitsbedingungen bearbeitet. Jetzt haben Arbeiter das Fünfundzwanzigtausendfache des zulässigen Wertes im Blut. Umweltkriminalität!
Der Fachbegriff für Umwelt-Propaganda trotz und wegen Umweltschandtaten lautet »Greenwashing«, also Grünwäsche. Ehrt oder ärgert das die Grünen?
Viele hängen sich derzeit das Label »Grün« an die Jacke, alle sind angeblich umweltfreundlich und ökologisch. Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es kriminelle Machenschaften auch in diesen Bereichen gibt.
Es wird gemunkelt, die Grünen hätten die Beton-SPD in NRW ein Stück weit ergrünen lassen. Stimmt's?
Da ich einer der Veteranen bin, der schon die rot-grüne Koalition der Jahre 1995 mit Rau, Clement und Müntefering ausgehandelt hat, darf ich die Frage klar bejahen. Der frühere SPD-Fraktionschef Friedhelm Farthmann hatte sich ja noch öffentlich hingestellt und gesagt: »Ich setze mich hinten rein und gucke mir an, wie Rot-Grün scheitert.« Und er hat einen Ratschlag an seine Leute gegeben: »Demütigt die Grünen, wo ihr nur könnt!« Die SPD-Kolleginnen und -Kollegen sind heute ein Stück weiter. Der Umgang miteinander ist darauf ausgerichtet, positive Ergebnisse zu erzielen, auch im Energiebereich, bei der Kraft-Wärme-Kopplung und den Erneuerbaren Energien.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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