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Antithese im Refrain

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

»Kleingeldprinzessin« nennt sich die Sängerin und Gitarristin Dota Kehr. Aufgelesen hat sie diesen Künstlernamen während ihrer Zeit als Straßenmusikerin: im heimischen Kreuzberger Kiez und auf mancherlei Weltreisen. Ihre stets selbstgefertigten Songs sind fröhlich oder melancholisch. Mal geht es tiefsinnig zu, dann wieder versponnen.

Dota bedient sich bei Jazz und Swing, Chanson, Reggae, Rock und Pop. Auch eine Prise Bossa nova darf nicht fehlen, denn eine zeitlang schluckte Dota auch den Staub brasilianischer Straßen.

Am Sonnabend konnte man im Radialsystem die intensive und gleichzeitig ganz natürliche Bühnenpräsenz der Sängerin bewundern. Dota Kehr benahm sich ganz wie im heimischen Wohnzimmer. Extra aufzubrezeln braucht sie sich nicht für den Auftritt; das praktische schwarze Hemdkleid hatte sie sicher schon den ganzen Tag getragen. Auch mit der geplanten Reihenfolge der Songs sieht Dota es nicht so eng, wenn das Publikum sich andere Stücke wünscht.

Ihre Band, die Stadtpiraten, hat sie diesmal nicht mitgebracht. Meist steht sie allein da mit ihrer Gitarre. Manchmal wird sie vom Tastenkünstler Jonas Hauer an Klavier, Akkordeon oder Hammond-Orgel begleitet. Der Pianist steuert auch ein paar jazzige Improvisationen bei.

Dota Kehr ist kein Geheimtipp mehr. Acht Alben hat sie inzwischen veröffentlicht; vom Goethe-Institut wurde sie auf Tourneen durch Russland und Neuseeland eingeladen. Dabei hat die 30-Jährige ihren Erfolg stets unter Eigenregie und mit eigenem Label erarbeitet. Einen Plattenvertrag lehnt sie ab.

In ihren Texten unternimmt Dota eine Gratwanderung zwischen Wortwitz, Leichtigkeit und Tiefsinn. Zu ihren wunderbaren, niemals sentimentalen Liebesliedern gehört zum Beispiel der Gute-Laune-Ohrwurm »Ohrsteckermädchen«, dessen Oh-oh-oh-Refrain sich so gut mitsingen lässt. Dota hält Stimmungen, Sehnsüchte und Träume fest. »Die Erde ist eine Scheibe und bis zu ihrem Rand erschlossenes Land«, bringt sie das Gefühl auf den Punkt, dass heutzutage alles schon bekannt, erfunden und vermessen sei.

Dota stammt aus Zehlendorf. Sie hat Abitur gemacht und sogar Medizin studiert. Zuweilen spielt sie ganz gern mit dem intellektuellen Angeber-Vokabular. »Ich konstituiere im Refrain eine These«, bringt sie das Publikum zum Lachen. »Ihr könnt mitsingen oder eine Antithese aufstellen. Dann wird es polyphon.«

Zeitkritische Spitzen pieksen bei ihr immer wieder durch. Dota stellt sich in die Tradition von Brecht und Weill, wenn sie in »Überwachte Welt« gegen Datensammelwut und Überwachungskameras ansingt.

Dann wieder macht sie sich über das Wohltätigkeitsbusiness lustig. Vor allem aber identifiziert sich die Liedermacherin mit dem an die Yorkbrücke gepinselten Slogan: »Wir wollen kein Stück vom Kuchen! Wir wollen die ganze Bäckerei!«, den sie in ihrem Lied »Utopie« zitiert.

Dota sehnt sich nach einem Raum zum Träumen und Aufatmen, nach Platz für Kunst und Poesie – und wird doch nie zum Jammerer oder Moralapostel. Zwar neige der Mensch dazu, »Immer die Andern« für die Misere verantwortlich zu machen. Aber Dota tut wenigstens etwas: Im Saal hat sie Unterschriftenlisten gegen die Geheimverträge der Berliner Wasserbetriebe ausgelegt.

Dota und die Stadtpiraten: »Bis auf den Grund«, mit 13 Titeln, Kleingeldprinzessin Records / Broken Silence, die CD kostet 13 Euro, die LP 15 Euro, www.kleingeldprinzessin.de

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