Von Pferden zu Tänzern

Tanzfabrik: Die neuen »Uferstudios« im Stadtteil Wedding eröffnen am Freitag mit großem Festakt

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Berlins zeitgenössische Tanzszene strahlt seit Jahren international aus. Jetzt erhält sie ein fantastisches neues Probenareal. Am 15. Oktober eröffnet in einem Festakt Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit 14 neue Studios, die mit Geldern der Lotto-Stiftung in Höhe von 4,3 Millionen Euro in das frühere Pferde- und spätere Straßenbahnendepot in der Uferstraße 23 im Wedding eingebaut wurden.

Wenige Tage vor der Eröffnung lag noch ein großer Haufen Pflastersteine auf dem von roten Ziegelsteinbauten gesäumten Hof. Baufahrzeuge mit mächtigen Rädern rumpelten an zartgliedrigen Tänzerinnen vorbei. Aber im Büro von Barbara Friedrich, der Geschäftsführerin der Uferstudios GmbH, treffen die Erfolgsmeldungen im Stakkato-Tempo ein. »Studio 8 wird in einer Stunde fertig sein«, berichtet ihr einer der Bauarbeiter. »Für Studio 9 brauchen wir noch einen Tag«, sagt ein anderer. Er bemängelt allerdings, dass einige Vorarbeiten nicht wie verabredet getätigt worden seien. Die Ruhe, mit der Friedrich auf all diese Botschaften reagiert, signalisiert: Sie glaubt daran, dass zum großen Festakt alles rechtzeitig fertig sein wird. Vor vier Jahren hat ihre damalige Kollegin Karin Kirchhoff die Stadt durchstreift, um geeignete Räumlichkeiten zu finden. Einige Projekte – wie etwa eine Fabrik in der Alten Jakobstraße – zerschlugen sich trotz weit gediehener Planung. Mit dem aktuellen Standort ist Friedrich, die 1996 bereits die Tanztage ins Leben rief und eine der wichtigsten Produzentinnen in der Stadt ist, sehr zufrieden. »Baulich ist dies wegen der Säulenfreiheit der beste Ort. Und wir sind auf einen Eigentümer gestoßen, der einverstanden war, die Lotto-Mittel als Grundbauschuld einzutragen«, sagt sie.

14 Studios mit mehr als 2500 m2 Grundfläche – das größte misst 420 m2, das kleinste 45 m2 – sind entstanden. Fünf der Studios nutzt das von der UdK und der Hochschule für Schauspiel gemeinsam getragene Hochschulübergreifende Zentrum Tanz (HZT). Die Studierenden des HZT arbeiteten in den letzten zwei Jahren hier bereits unter provisorischen Bedingungen. Mit der Eröffnung der frisch renovierten Studios und der absehbaren Fertigstellung der Räume für Dozenten und Verwaltung beginnt jedoch eine neue Zeitrechnung. »Dann haben wir endlich einen eigenen Campus«, sagt Eva-Maria Hoerster, Geschäftsführende Direktorin des HZT. »Wir haben unterschätzt, wie wichtig es ist, einen festen Ort für die Herausbildung der Identität unserer Einrichtung zu haben«, erzählt sie rückblickend.

Das HZT stellt einen glücklichen Sonderfall in der Berliner Wissenschaftslandschaft dar. Es ist vor drei Jahren aus einer – von der Bundeskulturstiftung geförderten – Initiative von Tanzpraktikern entstanden. Ein Bachelor- und zwei Masterstudiengänge werden mittlerweile angeboten. »Ein Masterstudiengang richtet sich primär an zukünftige Choreografen. Der Studiengang Solo Dance Authorship ist genreübergreifend, vor allem mit Blickrichtung auf die bildende Kunst hin, angelegt«, erläutert Hoerster. In der kompletten Ausbaustufe werden maximal 72 Studierende am Lehrbetrieb des HZT teilnehmen.

Unmittelbare Nähe zur späteren beruflichen Praxis ist dabei gesichert. Denn Tür an Tür mit ihnen werden Berlins freie Tanzcompagnies, Performancegruppen und Musiktheater- und Theaterensembles ihre Stücke produzieren. Bereits in der Umbauphase probten hier u.a. Constanza Macras, Rubato, Nico & the Navigators, Wilhem/Groener und Novoflot. Diese Konzentration führt auch zu einer verdichteten Kommunikation. »Eigentlich braucht man ja nur maximal drei Minuten vom Eingang des Geländes bis zu seinem Studio«, hat Ludger Orlok beobachtet. Doch oft dauert der Weg 20 Minuten. »Man trifft unterwegs Künstler, die man kennt. Anderen, von denen man bislang nur gehört hat, wird man gleich vorgestellt. Ganz spontan entstehen Diskussionen um Arbeitsweisen, Ästhetiken und auch die kulturpolitische Situation des Tanzes«, ist der Leiter der Tanzfabrik vom neuen Ambiente begeistert. Seine traditionsreiche Einrichtung behält ihren Standort in Kreuzberg, hat im Wedding aber zwei zusätzliche Studios dauerhaft angemietet. Bei den abendlichen Tanz-, Bewegungs- und Yogakursen schauen auch schon die ersten Weddinger herein. »Die Leute sind neugierig. Inmitten der Bauarbeiten haben sich einige schon erkundigt, was hier los ist. Und bei unserem Festival »Perfect Wedding« war ein Pärchen aus der Nachbarschaft als erstes an der Abendkasse«, sagt Orlok. Auch Barbara Friedrich berichtet von häufigen Besuchen der neuen Nachbarn. HZT-Direktorin Hoerster will eine Einladung auf deutsch und türkisch an die Pforte heften.

Die neue Tanzinfrastruktur dürfte allerdings auch den Kiez verändern. »In den letzten Jahren sind immer mehr Künstler in die Gegend gezogen. Ich denke, dass auch die neuen Studenten am HZT nicht mehr in Neukölln nach Wohnungen suchen, sondern hier um die Ecke«, prognostiziert Friedrich. Sie hofft freilich, dass der Umwandlungsprozess des Kiezes langsamer verläuft als etwa im Friedrichshain. »Je länger der Wedding der Wedding bleibt, desto länger bleiben die Mieten noch günstig. Das ist für uns eine existentielle Voraussetzung«, hält sie fest.

Bleibt abzuwarten, ob die Gentrifizierung hier moderater verläuft als in den östlichen Innenstadtbezirken. Immerhin sind die hiesigen Protagonisten sich der zweischneidigen Rolle der Künstler beim Stadtumbau bewusst. Am Abend des 15. Oktobers ist jedoch bedingungsloses Feiern angesagt. Der Festakt beginnt um 18 Uhr, ab 20 Uhr werden Ausschnitte aus Tanzproduktionen in den einzelnen Studios gezeigt, ab 22 Uhr ist Party.

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