Der erste Tote im innerpolnischen Krieg

Kampf zweier Solidarnosc-Parteien artet aus

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit dem Überfall auf das Lodzer Büro der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) am Dienstag ist in Polen von einem »polnisch-polnischen Krieg« die Rede.

Der seit 2005 anhaltende Kampf zwischen den zwei Solidarnosc-Parteien, der regierenden Bürgerplattform (PO) und der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), hat dramatische Formen angenommen. Am Dienstagvormittag war der 62-jährige Taxifahrer Ryszard C. aus Czestochowa in das Lodzer PiS-Büro eingedrungen, hatte einen Mitarbeiter erschossen und einen zweiten mit einem Messer schwer verletzt. Bei der Festnahme durch die Polizei soll er geschrien haben: »Ich wollte Kaczynski töten, den ich hasse wie die ganze PiS.« Ein Wahnsinniger?

Parteichef Jaroslaw Kaczynski reagierte prompt: »Das ist das Resultat einer unentwegt gegen uns geführten Hasskampagne ... Jedes weitere Wort, das an dieses Ereignis anknüpft, bedeutet einen Aufruf zum Mord.« Unmissverständlich schob er die politische Verantwortung für die Tat Ministerpräsident Donald Tusk und der PO zu.

Witold Waszczykowski, ein Vertrauer des PiS-Chefs, der sich bei der bevorstehenden Kommunalwahl in Lodz um die Stadtpräsidentschaft bewirbt, empörte sich: »Jetzt beginnt man schon, die Opposition zu töten.«

Tusk räumte in einer Erklärung ein, dass der Mord wohl tatsächlich politisch motiviert war. Und Tomasz Nalecz, Berater des Staatspräsidenten Bronislaw Komorowski, sprach vom »ersten Todesopfer im polnisch-polnischen Krieg«.

Das »Kriegsthema« spielte in den Kommentaren tags darauf eine große Rolle. In »Rzeczpospolita« hieß es, die PiS sei in jüngster Zeit von der PO tatsächlich besonders scharf angegriffen worden. Es seien Worte der Missachtung und der Geringschätzung gefallen, man habe sich über Jaroslaw Kaczynski lustig gemacht, sogar Intellektuelle wie Andrzej Wajda, Adam Michnik und Kazimierz Kutz hätten eine Atmosphäre der Feindseligkeit geschürt. Für »Nasz Dziennik«, das Blatt des Paters Rydzyk, wie auch für dessen »Radio Maryja« gibt es nicht die geringsten Zweifel daran, dass Tusk der geistige Vater der Tat ist.

Richtig ist, dass der politische Kampf nach dem Smolensker Flugzeugunglück, dem am 10. April Staatspräsident Lech Kaczynski und 95 weitere Insassen zum Opfer fielen, hysterisch ausgeartet ist.

Nur kurze Zeit, während des Präsidentschaftswahlkampfes im Juni, hielt Jaroslaw Kaczynski inne, doch nach seiner Wahlniederlage war er es, der die Stimmung anheizte: Der Flugzeugabsturz sei einem Komplott zwischen Tusk und Putin geschuldet, das »Attentat« sei sorgfältig vorbereitet und das Ausmaß der »nationalen Katastrophe« von Komorowski, dem »zufälligen Staatspräsidenten«, heruntergespielt worden. Blut klebe an Tusks Händen. Dazu kämen der Streit um das Kreuz vor dem Präsidentenpalast, die Attacken gegen dessen Verteidiger und die »antiklerikale Offensive« der Regierung und ihrer Anhänger. All dies zeuge davon, dass sein – also Kaczynskis – Aufruf zum »Kampf um ein freies Polen« richtig sei, ebenso wie die Tatsache, dass in den Kirchen wieder das Lied »Ein freies Polen gib uns wieder, oh Herr!« angestimmt wird.

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