»Und doch, es tut weh ...«
Peter-Michael Diestel stellte sein Buch im ND-Klub vor
Obgleich sie bei der Arbeit am Buch zu Vertrauten wurden, widersprach Diestel seinem Biografen: »Doch, ich bin eitel! Wie alle Männer.« Ob Eitelkeit wirklich allen männlichen Wesen gemein ist, kann die Reportierende mangels empirischen Materials weder bestätigen noch widerlegen. Gleiches gilt für Diestels Bekenntnis, stets die Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit zu verkünden. »Wenn ich schwindle, leuchten meine Ohren rot.« Sie leuchteten am Mittwochabend nicht. Aber die Augen seiner Zuhörer. Und das verwunderte keinesfalls, waren doch aus seinem Munde solch starke Sätze zu vernehmen wie:
»Gegen den Willen der Millionen, die von kommunistischer Weltanschauung geprägt waren und uns dennoch die Waffen und damit die Macht gegeben haben, hätte es die Wende nicht gegeben. Deshalb bin ich ihnen dankbar.« Es sei für ihn ein sportliches wie zutiefst christliches Motiv, mit jenen ehrenwert umzugehen. Beifall bekam auch Diestels Medienschelte. Gruselstories über die Stasi, die Bahro und Bohley verstrahlt hätte und der auch zuzutrauen sei, Kindern die Augen ausgestochen zu haben, kommentierte er als »Schweinejournalismus.« Er habe nie Hass empfunden und es stets als Reichtum verstanden, Menschen kennenzulernen. »Alle hat der liebe Gott gemacht.« Zu den ihn bereichernden Begegnungen zählt Diestel u. a. jene mit Gorbatschow und KGB-Chef Krjutschkow sowie mit Honecker, dem Tränen in den Augen standen: »Das hat jedes böse Gefühl gegen diesen kranken alten Mann bei mir weggeblasen. Ich hatte nur Mitgefühl.«
Mit solchen Äußerungen irritiert Diestel regelmäßig Mainstreampublizisten. Ebenso mit seinen spontanen Paroli, wenn er mal wieder verdächtigt wurde, eine Stasi- oder gar KGB-Vergangenheit zu haben: »Ja, ich war IM Schürzenjäger.« Respektive: »Mein Deckname war Dr. Schiwago.« Man kann sich die ungläubigen Mienen ahnungsloser Wessis lebhaft vorstellen, wenn sie mit dieser Verteidgungsstrategie konfrontiert wurden. »Wer keinen Humor hat, ist oft auch nicht sehr intelligent«, lautet Diestels Erkenntnis aus Erfahrung. Er berichtet auch vom Schurkenstück, gegen ihn eine Akte zusammenzuschustern: »Kriminell war das. Es fand sich aber kein MfS-Mitarbeiter, der sich für die Fälschung missbrauchen ließ.« Im Gegenteil, zwei Generäle sagten für ihn aus. Und vor einem deutschen Gericht zählt immer noch das Wort eines deutschen Offiziers, der unter Eid schwört.
»Ich habe alles ausräumen können«, triumphiert Diestel und gesteht: »Und doch, es tut weh, meine Damen und Herren.« Er versichert, in seiner Amtszeit seien keine Akten vernichtet worden. Das hätte seinem Rechtsverständnis widersprochen, wie es diesem entsprochen hätte, alle Stasi-Akten ins Bundesarchiv zu überführen, statt sie zur Jagd auf Menschen freizugeben. Er weiß, wovon er spricht, er ist ein Anwalt der Gejagten. Seine Empörung ist echt, wenn er den Fall eines Klempners schildert, der wegen viermonatiger und über vierzig Jahre zurückliegender Tätigkeit für das MfS noch heute stigmatisiert wird. »Das ist faschistoides Denken«, ruft Diestel aus und erntet erneut starken Beifall. Es freut ihn, wenn ihm ein »Gigant wie Helmut Schmidt, fleischgewordener Verstand unseres Vaterlandes«, Rückhalt gibt. Diestels großes Vorbild ist indes, wie zu erfahren war, Franz Josef Strauß, »der in einen Puff ging, wo ihm die Geldbörse geklaut wurde, was ihm jedoch politisch nicht das Genick brach. Am nächsten Tag schimpfte er wieder ungeniert im Bundestag auf die Kommunisten«. Diestel wiederum schimpft auf die Sozialdemokraten; deren Auszug aus dem Kabinett Lothar de Maizière, »ein Edelmann«, wirkt wohl traumatisch nach.
Einen Vorwurf musste Diestel sich aus dem ihm wohlgesonnenen Publikum dann doch anhören. Ein Mann nahm Anstoß an einer despektierlichen Bemerkung im Buch über Amtsvorvorgänger Friedrich Dickel, »einen ehemaligen Spanienkämpfer«. Diestel erkannte in dem Kritiker seinen einstigen Dolmetscher, den er in einer Moskauer Nacht, »in der wir schwer was zur Brust genommen hatten«, vom Oberstleutnant zum Oberst befördert hatte. Doch was jener meinte, ging ihm nicht auf. Worauf dieser Diestel aufforderte: »Lesen Sie doch mal in Ihrem Buch nach.« Da der gute Mann die in der Tat unnötige Passage coram publico nicht kolportieren wollte, geschieht dies hier auch nicht. Sie ist nachzulesen auf den Seiten 114/115.
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