Die Börse gebiert Ungeheuer, die Dollars fressen

Deutsche Erstaufführung von Lucy Prebbles »Enron« am Staatstheater Nürnberg

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 2 Min.

Um die Vorgänge auf dem Fleischmarkt von Chicago auf die Bühne bringen zu können, hatte sich Brecht bekanntlich »8 Klafter tief« ins Marxsche »Kapital« versenkt, die 29jährige englische Autorin Lucy Prebble hat Tausende von Prozessakten gelesen, um den größten Skandal der US-Wirtschaftsgeschichte, den tiefen Fall des texanischen Energiegiganten »Enron« ins künstlerische Bild zwingen zu können.

Im Jahre 2001 hatte dieser Skandal die kapitalistische Welt erschüttert, mit einem riesigen Knall war die Blase von erschwindelten Gewinnen, Bilanzfälschungen und Luftbuchungen zerplatzt.

Viele Szenen von Prebbles Stück sind gespiegelt an vergleichbaren Szenen der Literaturgeschichte. Wenn der spätere Präsident Jeff Skilling von den Stunden vor der Eröffnung der Börse schwärmt, erinnert er an Shen Tes schwärmerische Lobpreisung der erwachenden Großstadt im »Guten Menschen von Sezuan«. Die gerichtsnotorisch festgehaltenen Hauptakteure werden von der Prebble in einen Machtkampf verwickelt, der mit seinem gnadenlosen Vernichtungswillen an Shakespeares Königsdramen erinnert. Am Ende taucht ein reuiger und deshalb verschonter Zeuge der Anklage auf. Dieser aufstiegsgeile ehemalige Finanzchef Fastow war auf die Idee von einem Schulden verzehrenden Schattenunternehmen gekommen und schwor am Ende für alle Zeiten ab.

Die Ebene der Gladiatorenkämpfe wird eingewoben in einen willigen Hofstaat von gierigen Anlegern, Analysten, Juristen und bestochenen Politikern. Deren Gier wird zum kollektiven Mit- und Gegenspieler. Um der Ungeheuerlichkeit der Wirtschaftsvorgänge Gestalt geben zu können, greift die Autorin zu surrealen Mitteln. Die von Fastow entwickelten Risikominimierungsmodelle, die sogenannten Raptoren, nehmen in ihrem Stück tierische Gestalt an und werden mit Dollarscheinen gefüttert; Wirtschaftsprüfer mit Mäuseköpfen und weißen Zeigestöcken geistern über die Bühne.

Regisseur Klaus Kusenberg ist zur Neueröffnung des modernisierten Schauspielhauses Nürnberg um eine temporeiche und vielfarbige Inszenierung bemüht. Fastows Raptoren erscheinen als gespenstische Kriechtiere, deren krokodilsähnlichen Raubtierköpfe aus Dollarscheinen modelliert sind. Die Figuren sind vor allem Demonstrationsobjekte. Sinnlich konkretes Figurenmaterial hat allenfalls der von Michael Hochstrasser gespielte Präsident Jeff Skilling. Wenn er vor der eigenen Größe erschauert, sich am ansteigenden Kurs aufgeilt oder sich wie ein großer Junge berauscht, da beginnt die Inszenierung auch schauspielerisch aufzublühen.

Nächste Vorstellung: 6.11.

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