»Erwerbslose haben keine Lobby«

Warum ist der heiße Herbst gegen die Sparpläne der Bundesregierung so lau? Fragen an Aktivisten

  • Lesedauer: 3 Min.
Über ihre Zwischenbilanz der Sozialproteste sprach Simon Poelchau für ND mit Michael Prütz (links) und Lena Ruducha, die beide im Berliner Bündnis »Wir zahlen nicht für Eure Krise« aktiv sind.
»Erwerbslose haben keine Lobby«

ND: Medial im Vordergrund stehen gerade Stuttgart 21 und die Proteste gegen den Castor. Vom heißen Herbst gegen Sozialabbau ist noch nicht viel zu spüren. Woran liegt das?

Prütz: Von einem heißen Herbst kann noch nicht die Rede sein. Dies liegt aus meiner Sicht an der fehlenden Mobilisierung des DGB, der in ganz Ostdeutschland und Berlin keine einzige große Aktion im Herbst durchführen will. Offenbar setzt die DGB-Führung eher auf einen Regierungswechsel 2013 als auf einen Protest auf der Straße.

Ruducha: Man muss auch berücksichtigen, dass die Betroffenen der anstehenden Kürzungen, die Erwerbslosen, keine Lobby haben. Im Moment werden diese Leute gerade durch die Hetze von Sarrazin und Co. noch weiter aus der Gesellschaft herausgedrängt und eine Spaltung zwischen Lohnabhängigen und Arbeitslosen produziert. Die Folge ist, dass keiner auf der Seite der Arbeitslosen steht, wenn bei ihnen gekürzt wird.

Was muss passieren, damit dieser Herbst doch noch ein Erfolg für die soziale Bewegung wird?

Ruducha: Wir müssen an die Proteste von Stuttgart 21 und gegen den Castor anknüpfen. Die Verbindungslinie zwischen den verschiedenen Protesten sehe ich in der Repräsentationskrise der schwarz-gelben Regierung. Schwarz-Gelb macht nur das, was im Kapitalinteresse steht. Und wir müssen zeigen, dass die Krise und ihre politische Lösung durch das Sparpaket Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung haben.

Prütz: Die soziale Frage darf von der außerparlamentarischen Linken nicht mehr so stiefmütterlich behandelt werden. Damit die Menschen auf die Straße gehen, müssen viel Aufklärungsarbeit geleistet und Aktionen gemacht werden, bei denen Menschen einfach mitmachen können. Gleichzeitig gilt es, in die Gewerkschaften hineinzuwirken, damit sie doch noch ihrer sozialen Rolle gerecht werden. Zu all dem gehört die Verständigung auf klare Forderungen, die man in der Bevölkerung verbreitern kann, wie: Weg mit Hartz IV und für einen Mindestlohn. Da ist man in anderen Ländern viel weiter.

Mit den Forderungen hat es Ihre Gruppe offenbar nicht so, Frau Ruducha. Die Antifaschistische Aktion Berlin (ALB) mobilisiert unter dem provokanten Motto »Pay you fuckers!« ...

Ruducha: Forderungen haben schon eine bestimmte Funktion, man muss aber auch das große Ganze im Blick behalten. Unser Motto soll deutlich machen, wer für die Krise verantwortlich ist und wer dafür zahlen muss. Das muss klar und deutlich benannt werden.

Benannt sind die Krisenverursacher doch eigentlich. Es folgt nur nichts daraus.

Ruducha: Wir haben in der Vergangenheit zahlreiche Krisendemos organisiert. Jetzt ist es an der Zeit, die Protestform des massenhaften zivilen Ungehorsams auch auf die soziale Frage anzuwenden. Mit der Bundestagsbelagerung am 26. November wollen wir an den Ort gehen, wo das Sparpaket beschlossen werden soll, und entschieden zeigen, dass wir dagegen sind.

Prütz: Ich halte die Bundestagsbelagerung für richtig und wichtig. Es wird am 26. November aber auch ein Programm für Menschen geben, die sich am Protest gegen die Bundesregierung beteiligen wollen, aber nicht den Mut für zivilen Ungehorsam haben.

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