Eine Kirche aus dem Nichts

Magdeburger stimmen über Wiederaufbau der Ulrichskirche ab

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Die 1956 gesprengte Ulrichskirche in Magdeburg soll wieder aufgebaut werden. Das strebt eine private Initiative an. Doch es gibt Widerstand – so starken, dass erstmals in der Stadt zum Bürgerentscheid gerufen wird.
Eine Metallplastik erinnert an die Ulrichskirche.
Eine Metallplastik erinnert an die Ulrichskirche.

Als Modell gibt es die Ulrichskirche schon. Eine Metallplastik erinnert in einer Grünanlage in Bahnhofsnähe, zwischen Wohnbauten aus den Fünfzigern und gesichtslosen Einkaufszentren, an den Bau, der hier bis 1956 stand: mit 70 Meter hohen Doppeltürmen und reich verzierter Fassade. Das Dach und der Innenraum fehlten; sie waren im März 1945 ein Raub der Flammen geworden. Zehn Kirchen habe Magdeburg im Krieg und danach verloren, sagt Ellen Richter: »St. Ulrich war davon die Schönste.«

Die Kirche soll wieder aufgebaut werden. Das meinen jedenfalls Richter und die anderen Mitglieder eines »Kuratoriums Ulrichskirche«, das 2007 auf Anregung eines nahe Magdeburg gebürtigen Chirurgen gegründet wurde. Inspiriert von geplanten oder umgesetzten Kirchenaufbauten in Dresden, Leipzig oder Potsdam, nahm sich die Initiative vor, den Bau mithilfe privater Spenden neu zu errichten. Zwar sind die Trümmer der Kirche verbaut oder verschollen; die Fläche ist, nachdem die Reste der Kirche in den Neuaufbau zunächst einbezogen worden waren, bevor 1956 die Entscheidung zur Sprengung der Ruine fiel, aber noch frei.

Ob die Fläche wieder mit einer Kirche bebaut werden soll, ist aber umstritten. Nachdem der Stadtrat im Juni das Vorhaben begrüßt, den Vorstoß von Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) zur Befragung der Bürger jedoch abgelehnt hatte, sammelte eine Initiative innerhalb von sechs Wochen 16 000 Unterschriften und erzwang so einen Bürgerentscheid. Zwar wird in der Verwaltung noch gezählt; die Hürde von 10 000 Unterschriften sei aber geschafft, sagt Trümper. Das sei ein »Gewinn für die direkte Demokratie«, erklärte danach Rosemarie Hein, Magdeburger Bundestagsabgeordnete der LINKEN, die ebenfalls mitgesammelt hatte.

Kritiker fragen vor allem, ob die Stadt die wiederaufgebaute Kirche braucht. »Es gibt bereits viele Kirchen in Magdeburg, die für Konzerte oder sogar als Gaststätte genutzt werden«, sagt Bettina Faßl, eine Sprecherin der Initiative. Dazu zählt Sankt Johannis, die lange als Ruine an die Kriegszerstörung der Stadt erinnerte, heute Konzerthalle ist und unweit der Stelle steht, an der die Ulrichskirche entstehen soll. Diese käme »aus dem Nichts«, sagt Josef Faßl, Ehemann der Initiativen-Sprecherin: »Jahrelang hat niemand den Wiederaufbau gefordert, auch nach Ende der DDR zunächst nicht.« Eine Mehrheit für den Bau, glaubt er, gibt es in der Bürgerschaft nicht: »Das ist hier nicht das Lebensgefühl.«

Die Befürworter der Kirche suchen die Skeptiker indes zu überzeugen – mit einer Fülle von Ideen für eine künftige Nutzung. Diese könne »City-Kirche« sein, so Richter; daneben könnten ein Musikmuseum und ein Dokumentationszentrum für Gebäude entstehen, die zerstört wurden, um »Ideologien oder Religionen durchzusetzen«. In Rede steht gar ein Kolumbarium, also ein Aufgewahrungsort für Urnen im Untergeschoss.

Die Vielzahl von Ideen hat ihren Ursprung nicht zuletzt in der Überlegung, dass nicht nur rund 30 Millionen Euro für den Wiederaufbau aufzutreiben wären, sondern auch eine rentable Nutzung in Aussicht gestellt werden soll. Das Kuratorium versichert, einen Neubau ohne öffentliche Mittel stemmen zu wollen. Man hofft dabei auf ähnliche Erfolge wie Otto von Guericke. Der Naturforscher und zeitweilige Rathauschef hatte nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dem die Stadt verheert und die Ulrichskirche völlig zerstört wurde, beim vormaligen Kriegsgegner in Schweden um Spenden geworben – erfolgreich.

Dagegen fürchten viele Magdeburger, dass dennoch Steuergelder fließen müssen – spätestens, wenn der künftige Bau die Betriebskosten nicht einspielt. Die Ablehnung hat aber auch profundere Gründe, glaubt Josef Faßl. Er sieht im geplanten »Neu- und Nachbau« einen »unehrlichen Umgang mit der Geschichte«, weil so getan wird, als könne ihr Rad zurückgedreht werden. Das Erinnern an die zerstörte Kirche sei lobenswert, sagt er; der Wiederaufbau sei es nicht.

Ob die Mehrzahl der Bürger das ähnlich sieht, wird sich wohl am 20. März zeigen. An dem Tag dürfte Magdeburgs erster Bürgerentscheid stattfinden. Weil gleichzeitig auch Sachsen-Anhalts Landtag gewählt wird, ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass 50 000 Stimmen gegen den Neubau abgegeben werden. Dann bliebe die Ulrichskirche wohl ein Metallmodell.

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