Doppelfrau

Ingrid Hahnfeld: »Katzentage«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Frau allein mit ihrer Katze. »Mager. Alt. Gesund. Bis auf die schiefe Gemütslage. Darauf pfeift sie heute Abend, kämmt andächtig ihre Stacheldrahthaare.« – Ingrid Hahnfeld erzählt von sich selbst, nennt die Frau aber Heidrun Erlenbach, um sie in dritter Person von sich wegzurücken. Ich kann mir denken, wie der einstigen Schauspielerin das Schreiben gut tut. Es ist, wie Psychologen sagen, eine »positive Affirmation«, und so wirkt es auch auf den Leser. Trübes Wetter? »Ach, dieser graue Maitag ist kurzweilig.« Wird eine Suppe mit Wohlbehagen gekocht, gerät sie »glücklich«. Ist das Geschirr gespült und alles abgewischt, wirkt die Küche »befriedet. Ich habe sie ruhig gemacht«. Mittagsschlaf, »dampfendes Teetöpfchen im Handkelch ... Wellen steigen in mir auf, ziehen Kreise. Berühren etwas im Brustinnenraum. Mein Herz, meinen Magen, die Lunge? Gemeint ist der Ort, der dem Erinnern am nächsten liegt ...«

Die alte Frau allein mit ihren Erinnerungen. Ingrid Hahnfeld hat dafür eine überzeugende literarische Form gefunden. Sie macht Heidrun Erlenbach sozusagen zur Doppelfrau. Der über Siebzigjährigen stellt sie ihr jüngeres Ich zur Seite – Rune, um die einundzwanzig. »Augen wie Schattenbeeren« und ihr Haar jugendschwarz, lockig bis zu den Schulterblättern. Ja, gewiss, vielleicht nicht immer, aber oft ist es so, dass in einer älteren Frau eine jüngere steckt oder umgekehrt, in einer Entschiedenen eine Sanfte, die sich nur in glücklichen Momenten zeigt. Überlegung und Leidenschaft – auch so ein Widerspruchspaar – sind in Heidrun Erlenbachs Leben immer mal wieder aneinander geraten. Die Hingebungsvolle in ihr zu beschützen, hat es ihr an Kraft gefehlt. »Erlebnisse, die Rune durchrüttelten wie Sturm die Bäume. Da hat sie gelernt, biegsam zu sein; ihr Leben über Gefahren zu retten. Da war kein Abgrund, kein Höllenschlund, der sie hätte verschlingen wollen. Da war lediglich das pochende Herz im Spiel, das nicht anders konnte.«

Ingrid Hahnfeld erzählt ohne Angst vor Sentimentalität. Um ihrem Alltag und ihren Erinnerungen Sinn zu geben, braucht sie eine bildhafte Sprache. Da wickelt sie der Schlaf in »graue, feuchte Tücher. Modergeruch will mich an etwas erinnern. Denk daran, dass du sterben musst.« Als Mahnerin erscheint ihr die »Moorfrau«, die sie beharrlich Camilla nennt. Aber sie war und ist doch eine »Windfängerin«, die sich als Kind den »Fundevogel« erfand, um nicht so allein zu sein.

»Windfängerin« hieß auch ein früherer Roman von Ingrid Hahnfeld, die nach Engagements in Dresden und Leipzig seit 1971 Bücher schreibt. Vermute ich richtig, dass sie in einem weiteren Buch Heidrun Erlenbachs Geschichte fortführen will, dass sie absichtlich Leerstellen ließ, um sie später aufzufüllen? Zum Beispiel meldet sich ein Geliebter aus frühen Tagen, Philipp, am Telefon. Er ist allein, sie ist allein. Und von da an wartet man, ob sich die beiden vielleicht mal treffen. Aber die Autorin belässt es bei dem Anruf, will sich Stoff aufsparen, denn davon gibt es für sie nur eine begrenzte Menge.

Ingrid Hahnfeld: Katzentage. Roman. Mitteldeutscher Verlag. 168 S., geb., 16 €.

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