Arbeitsplätze kontra Umweltschutz?
René Schuster von der Grünen Liga und Ralf Hermwapelhorst von der IG BCE über die Braunkohle in der Lausitz
René Schuster, seit 1999 Vertreter der Umweltverbände im brandenburger Braunkohlenausschuss.
ND: Was war das Problem bei der gestrigen Demonstration der IG BCE?
Schuster: Die IG BCE versucht diffuse Ängste mit der Arbeitsplatzproblematik in der Kohlebranche zu schüren. Wir diskutieren in Brandenburg seit dreieinhalb Jahren über neue Tagebaue, und es gibt bislang keine seriöse Prognose, wie viele Arbeitsplätze diese Tagebaue in Zukunft sichern könnten. Die IG BCE arbeitet heute mit stark überhöhten Zahlen. Eine aktuelle sachliche Grundlage zu schaffen, ist überfällig und wäre Aufgabe der Landesregierung.
Sie kritisieren, dass ihnen die IG BCE den Dialog aufgekündigt hat?
Wir waren verwundert, weil es in einer lokalen Zeitung eine Ankündigung der Demo heute gegeben hatte, nach der die Kritiker »ausdrücklich eingeladen« waren. Als wir die IG BCE angerufen haben, sagten die, es habe dieses Angebot nie gegeben. Jetzt hat uns die Polizei aber einen Stand am Rande der Veranstaltung zugewiesen. Wir wollen hier mit den Beschäftigten in Kontakt kommen und nicht immer nur mit den Gewerkschaftsfunktionären. Darum werden wir bei der Demo dabei sein. Ich habe das Gefühl die Beschäftigten bekommen unsere Argumente nur gefiltert und gehen so vorurteilsbelastet in die Diskussionen mit uns.
Wie kann man denn den Gegensatz zwischen Umweltschutz und Arbeitsplatzsicherung in der Kohleindustrie auflösen?
Das ist möglich, indem man ein allmähliches Auslaufen der Braunkohleindustrie organisiert. Das geht auch sozialverträglich. Wir sprechen dabei ja von Zeiträumen von mehreren Jahrzehnten. Wir schlagen schon lange vor, die ältesten Kraftwerke, wie Jänschwalde, um 2020 abzuschalten, die jüngeren bis 2040, wie Schwarze Pumpe, das zudem effektiver ist, laufen zu lassen. So wäre genug Zeit, nicht nur schrittweise das Energiesystem umzubauen, sondern auch mit den Arbeitskräften verantwortungsvoll umzugehen. Viele der jetzigen Beschäftigten sind doch bis dahin in Rente. Je zeitiger man damit anfängt, desto besser funktioniert das.
Fragen: Jörg Meyer
Ralf Hermwapelhorst ist Leiter des Bezirks Cottbus der IG Bergbau, Chemie, Energie.
ND: Die Umweltverbände werfen der IG BCE Dialogverweigerung vor. Zu Recht?*
Hermwapelhorst: Zu Unrecht. Wir sind jederzeit bereit, die Diskussion über inhaltliche Fragen mit den Umweltverbänden auf einer sachlichen Ebene zu führen. Das haben wir in der Vergangenheit auch schon getan.
Wie viele Beschäftigten sind es im Kohle- und Energiebereich?
In meinem Bezirksbereich sind das bei Vattenfall und Töchtern rund 8000. Davon sind acht Prozent Auszubildende und 1200 Beschäftigte unter 35 Jahre. Das sind diejenigen, die seit 1998 nach der Ausbildung in die Betriebe übernommen worden sind. Der Organisationsgrad in unseren Branchen liegt stellenweise bei 70 bis 80 Prozent.
Und wie viele Jobs würden denn durch neue Kohlekraftwerke und neue Tagebaue geschaffen?
Wir haben derzeit in der brandenburgischen und sächsischen Lausitz eine Fördermenge von 60 Millionen Tonnen. Ein kleinerer Teil geht in die Veredelung, also zur Brikett- oder Staubproduktion. Der größte Teil geht in die Kraftwerke. Wir gehen davon aus, dass, bei gleicher Fördermenge auch die Beschäftigtenzahl ungefähr gleich bleibt.
Ist der sozialverträgliche Ausstieg aus der Kohle bis 2040 möglich? Die meisten, die jetzt da arbeiten, sind dann in Rente ...
Das ist nicht die Frage. Wir sagen, die energiepolitischen Vorstellungen funktionieren nicht. Selbst wenn man aus der Verstromung aussteigt, bleibt die Frage der stofflichen Nutzung. Kohle ist Grundstoff für die Chemie- und Stahlindustrie. Außerdem brauchen die eine Lösung für ihr CO2-Problem. Am 6. Dezember nehmen wir an der »Lausitzkonferenz« teil. Da stellen die Umweltverbände ihre Position zur CO2-Speicherung (CCS) dar und wir sprechen über die Zukunft der Braunkohle. Und gerade bei CCS geht es ja um Investitionen in Höhe von über einer Milliarde am Standort Jänschwalde. Da reden wir denn auch über neue Jobs.
Fragen: Jörg Meyer
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