Arbeitsplätze kontra Umweltschutz?

René Schuster von der Grünen Liga und Ralf Hermwapelhorst von der IG BCE über die Braunkohle in der Lausitz

  • Lesedauer: 4 Min.
Im Rahmen des Braunkohle-Aktionstages in Cottbus warnte Michael Vassiliadis, Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), davor, einseitig auf Kernenergie zu setzen. »Das ist eine hoch riskante Politik. Die Kernenergie reicht als Brücke in das Zeitalter der regenerativen Energien nicht aus.« Zudem fehle die nötige gesellschaftliche Akzeptanz. Bis das Fernziel einer Stromversorgung nur aus regenerativen Energiequellen erreicht werde, könne auf die Kohle nicht verzichtet werden, sagte er weiter. Im Vorfeld der für den späten Nachmittag geplanten Demonstration der Gewerkschaft gab es Verstimmungen zwischen brandenburger Umweltverbänden und der IG BCE über die Zukunft der Braunkohle in der Lausitz. Die brandenburger Bündnisgrünen betonten gestern laut einer Mitteilung, die Braunkohleverstromung sei keine zukunftsfähige Branche. JME
Ralf Hermwapelhorst ist Leiter des Bezirks Cottbus der IG Bergbau, Chemie, Energie.
Ralf Hermwapelhorst ist Leiter des Bezirks Cottbus der IG Bergbau, Chemie, Energie.

René Schuster, seit 1999 Vertreter der Umweltverbände im brandenburger Braunkohlenausschuss.

ND: Was war das Problem bei der gestrigen Demonstration der IG BCE?
Schuster: Die IG BCE versucht diffuse Ängste mit der Arbeitsplatzproblematik in der Kohlebranche zu schüren. Wir diskutieren in Brandenburg seit dreieinhalb Jahren über neue Tagebaue, und es gibt bislang keine seriöse Prognose, wie viele Arbeitsplätze diese Tagebaue in Zukunft sichern könnten. Die IG BCE arbeitet heute mit stark überhöhten Zahlen. Eine aktuelle sachliche Grundlage zu schaffen, ist überfällig und wäre Aufgabe der Landesregierung.

Sie kritisieren, dass ihnen die IG BCE den Dialog aufgekündigt hat?
Wir waren verwundert, weil es in einer lokalen Zeitung eine Ankündigung der Demo heute gegeben hatte, nach der die Kritiker »ausdrücklich eingeladen« waren. Als wir die IG BCE angerufen haben, sagten die, es habe dieses Angebot nie gegeben. Jetzt hat uns die Polizei aber einen Stand am Rande der Veranstaltung zugewiesen. Wir wollen hier mit den Beschäftigten in Kontakt kommen und nicht immer nur mit den Gewerkschaftsfunktionären. Darum werden wir bei der Demo dabei sein. Ich habe das Gefühl die Beschäftigten bekommen unsere Argumente nur gefiltert und gehen so vorurteilsbelastet in die Diskussionen mit uns.

Wie kann man denn den Gegensatz zwischen Umweltschutz und Arbeitsplatzsicherung in der Kohleindustrie auflösen?
Das ist möglich, indem man ein allmähliches Auslaufen der Braunkohleindustrie organisiert. Das geht auch sozialverträglich. Wir sprechen dabei ja von Zeiträumen von mehreren Jahrzehnten. Wir schlagen schon lange vor, die ältesten Kraftwerke, wie Jänschwalde, um 2020 abzuschalten, die jüngeren bis 2040, wie Schwarze Pumpe, das zudem effektiver ist, laufen zu lassen. So wäre genug Zeit, nicht nur schrittweise das Energiesystem umzubauen, sondern auch mit den Arbeitskräften verantwortungsvoll umzugehen. Viele der jetzigen Beschäftigten sind doch bis dahin in Rente. Je zeitiger man damit anfängt, desto besser funktioniert das.
Fragen: Jörg Meyer

Ralf Hermwapelhorst ist Leiter des Bezirks Cottbus der IG Bergbau, Chemie, Energie.

ND: Die Umweltverbände werfen der IG BCE Dialogverweigerung vor. Zu Recht?*
Hermwapelhorst: Zu Unrecht. Wir sind jederzeit bereit, die Diskussion über inhaltliche Fragen mit den Umweltverbänden auf einer sachlichen Ebene zu führen. Das haben wir in der Vergangenheit auch schon getan.

Wie viele Beschäftigten sind es im Kohle- und Energiebereich?
In meinem Bezirksbereich sind das bei Vattenfall und Töchtern rund 8000. Davon sind acht Prozent Auszubildende und 1200 Beschäftigte unter 35 Jahre. Das sind diejenigen, die seit 1998 nach der Ausbildung in die Betriebe übernommen worden sind. Der Organisationsgrad in unseren Branchen liegt stellenweise bei 70 bis 80 Prozent.

Und wie viele Jobs würden denn durch neue Kohlekraftwerke und neue Tagebaue geschaffen?
Wir haben derzeit in der brandenburgischen und sächsischen Lausitz eine Fördermenge von 60 Millionen Tonnen. Ein kleinerer Teil geht in die Veredelung, also zur Brikett- oder Staubproduktion. Der größte Teil geht in die Kraftwerke. Wir gehen davon aus, dass, bei gleicher Fördermenge auch die Beschäftigtenzahl ungefähr gleich bleibt.

Ist der sozialverträgliche Ausstieg aus der Kohle bis 2040 möglich? Die meisten, die jetzt da arbeiten, sind dann in Rente ...
Das ist nicht die Frage. Wir sagen, die energiepolitischen Vorstellungen funktionieren nicht. Selbst wenn man aus der Verstromung aussteigt, bleibt die Frage der stofflichen Nutzung. Kohle ist Grundstoff für die Chemie- und Stahlindustrie. Außerdem brauchen die eine Lösung für ihr CO2-Problem. Am 6. Dezember nehmen wir an der »Lausitzkonferenz« teil. Da stellen die Umweltverbände ihre Position zur CO2-Speicherung (CCS) dar und wir sprechen über die Zukunft der Braunkohle. Und gerade bei CCS geht es ja um Investitionen in Höhe von über einer Milliarde am Standort Jänschwalde. Da reden wir denn auch über neue Jobs.
Fragen: Jörg Meyer

René Schuster, seit 1999 Vertreter der Umweltverbände im brandenburger Braunkohlenausschuss.
René Schuster, seit 1999 Vertreter der Umweltverbände im brandenburger Braunkohlenausschuss.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!