Das erzwungene Geschenk
Erklärungspflicht oder nicht? Ethikrat sucht Position in der Debatte um Organspenden
Die aktuelle Diskussion zur Erklärungspflicht entstand angesichts geringer Spendenbereitschaft in Deutschland. Damit werden auch die ethischen Fragen lauter: Verpflichtet der eigene Wunsch nach einer Organspende dazu, sich selbst als Spender zu erklären? Heißt Schweigen Zustimmung? Letzteres bejahen die Befürworter einer Widerspruchsregelung. Sie sind momentan sowohl in Regierungs- als auch in Oppositionsparteien zu finden. Und Frank-Walter Steinmeier, der dank einer Nierenspende an seine Ehefrau zu ungeahnter Popularität gelangte, gab ihnen weiteren Auftrieb. Der SPD-Fraktionsvorsitzende plant einen neuen parteiübergreifenden Anlauf zur Änderung des Organspendegesetzes. Jeder Bundesbürger solle von den Krankenkassen verpflichtend über Organspenden informiert werden. Jeder könne sich dann »offen und frei« entscheiden.
Schon die Eingangsstatements auf einer Veranstaltung des Deutschen Ethikrates in der vergangenen Woche in Berlin waren in Zahl und Ausrichtung eindeutig platziert: Zwei Vertreter aus der Praxis der Transplantationsmedizin gaben dem Vortrag einer Philosophie-Professorin den Rahmen. Zunächst beschrieb einer der führenden Mediziner in diesem Bereich, Peter Neuhaus von der Berliner Charité, den Status quo in Deutschland. 12 000 Patienten warten auf ein Spenderorgan, 4000 stehen jedes Jahr zur Verfügung. Die Mediziner müssen auf die Organe von immer älteren und weniger gesunden Spendern zurückgreifen. Thomas Breidenbach von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) berichtete über praktisch-organisatorische Fragen und seine Erfahrungen mit den Angehörigen. Demnach lehnten Menschen eine Spendenzusage vor allem deshalb ab, weil sie befürchten, Ärzte würden dann nicht mehr alles für die Lebensrettung eines Patienten tun.
Die Philosophin Weyma Lübbe vom Ethikrat sieht gegenwärtig eine massive Nötigung der Öffentlichkeit zugunsten der Organspende. Sie forderte, im Rahmen ausführlicher Information zum Thema auch die Widerstände in der Bevölkerung genauer zu erkunden. Lübbe sieht die Debatte vor dem Hintergrund eines zunehmenden Verwertungsinteresses an funktionsfähigen menschlichen Körperteilen. Mit den Fortschritten der Transplantationsmedizin und ihr zuarbeitender Disziplinen wie der Immunologie dürften deren Heilungsversprechen zunehmend überschätzt werden.
Selbst Jutta Riemer, aufs Podium geladene Empfängerin einer Spenderleber, sagt, dass sie das Organ als ein Geschenk sieht und dass sie nicht wolle, dass irgendjemand zu solch einem Schritt verpflichtet würde. Auch Gesundheitsstaatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) ist der Meinung, dass mit besserer Information über die Transplantation schon viel getan wäre. Aus ihrer Sicht sollte das moralisch gerne höher bewertete Verhalten – die Bereitschaft zur Spende – so wenig wie möglich verrechtlicht und formalisiert werden.
In der Debatte fehlten jedoch die neueren Entwicklungen zur Hirntodthese, die das deutsche Transplantationsgesetz von 1997 in Frage stellen könnten. Nach diesem Gesetz ermöglicht nämlich die These, dass ein beatmeter Patient ohne Hirnfunktion als »hirntot« gilt, die Entnahme von Organen oder Gewebe. Inzwischen gibt es genug Nachweise, dass auch bei einem Hirntod beliebige Körperfunktionen aufrecht erhalten werden können. So sind bis 2003 zehn Entbindungen hirntoter Patientinnen belegt. Diese und ähnliche Entwicklungen dürften denjenigen, die Spende oder Erklärung verweigern, neue Argumente geben.
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