Nachhaltig statt »französisch«?
IG Metall setzt im »heißen Herbst« auf einen langen Atem
Im aktuellen Aktionsherbst gegen den massiven sozialen Kahlschlag will die IG Metall auch weiter nichts von »französischen Verhältnissen« oder einem »Marsch auf Berlin« wissen. »Wenn die IG Metall etwas anpackt, dann konsequent und nachhaltig«, versprach Gewerkschaftschef Berthold Huber am Montag vor Journalisten in Frankfurt am Main. Mit insgesamt 2200 betrieblichen und öffentlichen Aktionen bundesweit wolle die Gewerkschaft rund 1,5 Millionen abhängig Beschäftigte in ihrem Organisationsbereich ansprechen. Damit erreiche sie deutlich mehr Menschen als mit einer zentralen Großkundgebung in der Hauptstadt.
Huber bekräftigte seine harte Kritik an der aktuellen Linie der Bundesregierung: Die Krise sei »scheinbar überstanden«, doch hätten die politischen Akteure »nichts dazugelernt«. Der aktuelle Aufschwung in einigen wichtigen Branchen sei nicht die Leistung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), sondern das Produkt massiver Staatsintervention von der Kurzarbeiterregelung über die Abwrackprämie bis hin zu den Konjunkturprogrammen.
Dabei habe die Arbeitnehmerschaft die Folgen des Wirtschaftseinbruchs ab 2008 solidarisch getragen. Gleichzeitig schone die schwarz-gelbe Koalition Vermögende, blockiere eine gerechte Steuerpolitik und kürze die Sozialausgaben. Steuervergünstigungen für Hoteliers und der beschlossene »Atomdeal« verletzten das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen, so Huber.
Niedriglohnsektor birgt sozialen Sprengstoff
Die Regierung sehe tatenlos zu, wie Arbeitgeber auf die Prekarisierung und Spaltung der Belegschaften setzten. Schließlich entfielen derzeit 43 Prozent der Neueinstellungen auf Leiharbeiter, 42 Prozent auf befristete Verträge und nur 15 Prozent auf reguläre Beschäftigung. Ohne eine strikte Regulierung und einen gleichen Lohn für die Leiharbeit sowie gesetzliche Mindestlöhne bilde sich angesichts eines Niedriglohnsektors von fast sieben Millionen Erwerbstätigen enormer arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprengstoff, warnte der IG Metall-Chef. Dessen Sprengkraft werde verstärkt, wenn ab 2011 in der EU volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gelte.
Schlechter Start für die Jugend
Obwohl 70 Prozent der Bevölkerung die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre ablehnten, wolle die Bundesregierung »mit dem Kopf durch die Wand«, bemängelte Huber weiter. Und für die Jugend beginne der Weg ins Erwerbsleben zunehmend mit Leiharbeit, Befristung, Werkverträgen und Praktika. Daher sei die Zukunft junger Menschen zentraler Aktionsschwerpunkt seiner Gewerkschaft. Im Kampf um einen Kurswechsel setze die IG Metall auf »langen Atem und das Bohren dicker Bretter«.
»Wir sind nicht in Frankreich«, betonte denn auch IG Metall-Vize Detlef Wetzel: »Wir gehen einen anderen Weg als unsere Schwestergewerkschaften, um die nachhaltige Kritik der Beschäftigten an der Bundespolitik deutlich zu machen.« Weil die Stärke der IG Metall in ihrer betrieblichen Verankerung liege, fänden derzeit tausende dezentraler Veranstaltungen mit traditionellen aber auch neuen Aktionsformen statt. Dazu gehörten die »Rote Karte-Aktionen« beim Autobauer Ford in Saarlouis ebenso wie ein öffentlich aufgeführter »Sklavenmarkt« in Flensburg oder Betriebsratssprechstunden für Leiharbeiter. Bis Ende nächster Woche sind regionale Demonstrationen in Hannover, Frankfurt, Kaiserslautern, Koblenz, Erfurt, Stuttgart, Nürnberg und Dortmund geplant.
Im Streben nach einem grundlegenden Kurswechsel sei es »mit einmaligen Großdemonstrationen nicht getan«, präzisierte Huber in Anspielung auf die aktuellen französischen Massenproteste gegen ein höheres Rentenalter. Auf die Frage, ob aus dem Produktionsausfall bei einer Betriebsversammlung ein politischer Streik erwachsen könne, stellte der Gewerkschafter klar: »Dies ist langfristig nicht die Absicht der IG Metall.«
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