Naturgewalten treffen Mexiko unvorbereitet
Mangelhafte Katastrophenvorsorge
Nicht nur im Krieg gegen die Drogen fällt die Bilanz der Regierung von Präsident Felipe Calderón bescheiden aus. Dasselbe gilt für die Katastrophenvorsorge. Mit der gegenwärtigen Regenzeit, die in Mexiko im Mai begann und die von der Regierung als die schwerste seit Beginn der Aufzeichnungen bezeichnet wird, kamen mehrere schwere Wirbelstürme. Den ersten verheerenden Hurrikans »Karl« und »Matthew« folgte Anfang November Tropensturm »Tomas«. Die Auswirkungen dieser Naturkatastrophen, Überschwemmungen, übergetretene Flüsse und Staudämme, treffen weite Regionen des Landes. Bislang kamen nach offiziellen Angaben gut 50 Menschen ums Leben, der Schaden ist unschätzbar. Nach Auskunft der katholischen Hilfsorganisation Caritas sind zwei Millionen Menschen in Mexiko von den Fluten betroffen.
Lokale, regionale und nationale Behörden wurden vom Ausmaß der Katastrophe völlig überrascht. Die Menschen in den betroffenen Regionen mussten sich selbst in Sicherheit bringen und sich inmitten der Katastrophe versorgen.
Régulo Gallego und seine Familie etwa fand mit anderen Familien der Siedlung Medellín im Verwaltungsbezirk Centro de Tabasco Zuflucht in einer Kapelle des örtlichen Friedhofs. Er harrte im selben Gebäude aus, in dem er um einige seiner Bekannten getrauert hatte. In letzter Minute war es Gallego und einigen Nachbarn gelungen, sich mit wenigen Habseligkeiten zu retten. Zusammen mit Truthähnen und Hühnern richteten sie sich in der kleinen Kirche ein, während das Land ringsum in den Fluten versank. »Wir haben nicht lange überlegt und uns kurzerhand in der Kapelle in Sicherheit gebracht«, sagte Gallego, das sei zwar nicht besonders angenehm, aber trocken.
Die Behörden aller Ebenen weisen alle Schuld von sich. Niemand will dafür verantwortlich sein, dass kaum Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge getroffen wurden. Er trage keine Schuld an den Folgen der Stürme und Regengüsse, verteidigte sich beispielsweise José Luis Luege Tamargo, Vorsitzender der Nationalen Wasserkommission. Um der Lage Herr zu werden, müssten die Umweltgesetze Mexikos verändert werden. Das Problem, argumentierte der Funktionär, liege in fehlender städtebaulicher Sorgfalt und mangelnder Kontrolle des Siedlungsausbaus. »Die Ursache ist ein chaotisches Wachstum von Weilern, viele von ihnen in alten Flussbetten.« Auch wenn Tamargo auf diese Weise versuchte, die Verantwortung von sich abzulenken, hatte er in Teilen Recht.
Der Kirchenvertreter Miguel Gómez Granados klagte, um Arbeitsplätze zu schaffen und die Steuereinkünfte für die Gemeinden zu erhöhen, seien Schnellstraßen ohne hinreichende Voruntersuchungen gebaut und hochriskante Gebiete zur Bebauung freigegeben worden. Die Gewinner waren vor allem Bau- und Immobilienunternehmen. Besonders für den Straßenbau wurden ungezählte Grundwasserbrunnen angelegt und ganze Landstriche gerodet. Infolgedessen vertrocknete die Erde und wurde versiegelt, nichts konnte Wasser und Schlamm mehr aufhalten.
Schadensbeseitigung und die Einrichtung eines Nothilfefonds verschlangen bereits bis August umgerechnet 1,15 Milliarden Euro. Rubem Hofliger, Präsident des Nationalen Katastrophenfonds, sprach von einer »galaktischen« Summe. Im laufenden Jahr seien Schäden wie nie zuvor zu verzeichnen. Und das letzte Quartal ist in seinen Rechnungen noch gar nicht berücksichtigt.
Mexikos Präsident Felipe Calderón macht in dieser Situation die »globale Klimaerwärmung« für die Katastrophen verantwortlich. Es mache ihn wütend dass es immer noch Menschen gebe, die dieses Problem leugneten, echauffierte sich Calderón auf einer internationalen energiepolitischen Konferenz. Auch eine Art, die eigenen Hände reinzuwaschen. Denn die Überschwemmungskatastrophen in Villahermosa, Tabasco, in den Siedlungen entlang des Rio Grijalva oder in Chiapas haben viel mit der hausgemachten Politik zu tun.
Übersetzung: Harald Neuber
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