Strandherren und Majakowski
Vor 60 Jahren: Eröffnung des Theater der Freundschaft in Berlin
Es war die »Joseph-Goebbels-Schule«, in Berlin-Lichtenberg. Die Sowjets befahlen 1948 die Kultur ans Haus: verordneter Antifaschismus. An der Parkaue entstand so das »Haus der Kultur der Sowjetunion, Filiale für Kinder« – heute vor 60 Jahren wurde dort das »Theater der Freundschaft« eingeweiht. Das zentrale Kinder- und Jugendtheater der DDR. Eine Institution weit über die Landesgrenzen hinaus. Mit Ilse Rodenberg wird die Bühne ab 1959 für nahezu 15 Jahre eine legendäre Intendantin haben, prinzipalisch in ihrer unbedingten Hingabe ans Haus, prinzipiell in ihrer kommunistischen Leidenschaft, nutzbringend tätig in der internationalen Organisation der Kindertheater, der ASSITEJ. Die Mutter als Generalin, die Kommissarin aber auch als Komödiantin, die Hohepriesterin als strenger und schützender Engel.
So wie Ältere heutzutage für ihre Enkelkinder sorgliche Schatzbewahrer etwa zauberhafter sowjetischer Märchenfilme sind, so war das »Theater der Freundschaft« just in der Ära Rodenberg bevorzugt auch eine Sammelstelle russischer Stoffe und sowjetischer Erfahrungen. Als Staatstheater erzieherisch verlässlich, war die Bühne aber immer auch weitgefächertes Spiel-Feld reizvoller, beliebter, erfolgreicher Erkundungen hin zu menschlichem Ehrsinn und Grundregungen des Guten.
Steht Erinnerung an, so zwingen 60 Jahre zur Auslese. Mit der Lust am Theater ist das wie mit jeder Lust: Sie ist eine biografische Produktion, also beliebig wiederholbar – die Bedeutung jedoch, die sie hinterlässt, ist es nicht. Wir haben ein antreibendes Gedächtnis, das siebt, das uns also immer wieder an jene große einmalige Verausgabung an Glück erinnert, die wir bei diesem oder jenem Kunst-Erlebnis empfanden. Zugleich ist dieses Gedächtnis, so es denn von Liebe gesteuert wird, sehr gerecht: Es verleitet uns nicht dazu, die vielen schwächeren, gemäßigteren Erlebnisse, etwa mit einem Theater, herablassend als Mangel zu empfinden. Liebe ist eben Extrem und ebenso Ausgleich. Also ist es auch jetzt kein Missachtung Anderer, wenn Namen herausgegriffen werden. Oder ein Teil DDR-Geschichte des Hauses, das 1991 zum »carrousel« und 2005 zum »Theater an der Parkaue« wurde.
An diesem Theater spielten Hilmar Thate und Ulrich Thein, hier inszenierten Wolfgang Engel, Konrad Zschiedrich und Peter Ensikat (auch Autor und Spieler). Überhaupt, die Darsteller! In den 70er, 80er Jahren: der jungenhaft heldische Joachim Siebenschuh, der artistische Kobold Rüdiger Sander, die zart-stolze Barbara Schnitzler. Dann der dominant sprachkräftige Rainer Büttner. Jener gezirkelte oder schräge Kunst-Ton der Silvia Rieger, der später Castorfs Volksbühne mit prägte. Das sonore, die Jahre sammelnde Bardentum eines Heinz Schröder. Der listig wendige Hellmut Geffke. Die »Undine« der Renate Pick. Das so differenzierte Mädchen-Wesen der Juliane Koren, die Anne Frank war. Und natürlich, über viele Jahre, die Zentral-Strahlung der Schauspielerin Petra Kelling – das Kinder- und Jugendtheater nicht als Durchzugsgebiet unruhiger Selbstsuche, sondern als Ort einer Lebens- und Kunst-Geschichte von früher Bindung, von durchgehaltener Treue und Energie. Hier arbeitete der traurige, stille Dichter Richard Leising als Dramaturg, ebenso die hart fordernde Konzept-Strategin Christel Hoffmann, und die Stücke von Eugen Eschner wagten sich klug, und mitunter auch kompliziert, an die Schwellengegend zwischen Noch-Jugend-und Schon-Erwachsenentheater.
Es sind die Regisseure Horst Hawemann und Mirjana Erceg, die in späten DDR-Jahren wesentlich für eine wirkende, aufregende Spannung sorgen zwischen Realismus und Fantastik. Hier führte das Märchen ein könig- wie prinzessinnenreiches Leben, doch das Herz der Kunst schlug am stärksten für listige, lustige und Lunte legende plebejische Helden, wie zum Beispiel Amados »Herren des Strandes«. Lothar Trolles Dramatik kam zur Premiere (»Joshua, die Tochter des Delegierten«), Boris Wassiljews »Im Morgengrauen ist es noch still« oder jene Majakowski-Collage von Dieter Wardetzki (mit Reiner Heise), die sich ins Grenzfeld scharfer Stalinismuskritik wagte. Wie das Theater überhaupt – angestoßen durch eine aufstörende, realitätsbrennende pädagogische Abteilung unter Leitung von Kristin Wardetzki – mehr und mehr auch den ideologischen Kurs der Staatspädagogik in Frage zu stellen und damit aufzugreifen versuchte, was Schüler wirklich denken und fühlen.
Man darf sich nicht täuschen lassen: Kindertheater ist Kampf um Hoheiten im Saal. Wer kann lauter? Wohin mit den leisen Tönen? Die oben und die unten müssen manchmal erst Frieden schließen und haben nur eine Vorstellung lang Zeit. Verabredungen, die das Theaterverhalten ganz automatisch regeln, gelten hier nicht voraussetzungslos. Theater als frühe Schule des Hinschauens und der Demokratie – ohne je Unterricht sein zu dürfen. Theaterspiel als Warnung vor jenen Mächten, die das Spiel des Lebens verderben, indem sie nur immer gewinnen wollen. Zukunftsarbeit Kunst. Saatlegung. Das »Theater der Freundschaft« ist DDR-Geschichte. Es hat Geschichte geschrieben, die darüber hinausweist .
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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