Bevor die Tür zufällt
»ArabQueen oder Das andere Leben« im Heimathafen Neukölln
Zhagareet. Das schrille Trillern arabischer Frauen zu einer Hochzeit lässt die Geschichte um die »ArabQueen« im Studio des Heimathafens Neukölln beginnen. So könnte auch das Ende sein, wäre da nicht das Klappen der Tür. Mariam, aufgewachsen in einer streng muslimischen Familie, lässt sich nicht an ihren Cousin verheiraten. Sie geht.
Abgesehen davon, dass sie diesen Mann weder kennt noch liebt, hat sie ihre mit dem Schicksal hadernde Mutter vor Augen, die täglich wehklagend ihre Verzweiflung in den Brotteig knetet. Ihre Wut auch. Ihr Mann betrügt sie. Gehört es auch zu den Dingen, die die Welt bewegen, dass ein Mann in Liebe um seine Auserwählte wirbt – ihm wurde von der Verwandtschaft die Frau zum Gebären ins Haus geliefert. Warum also sollte er sich um sie bemühen? Zu beneiden ist auch er nicht. Vielleicht liebte er eine andere? Aber ihm bleiben immerhin Möglichkeiten, seine Vorteile daraus zu ziehen. Abgesegnete Doppelbödigkeit.
»ArabQueen – oder Das andere Leben« vollendet nach »Arabboy« und »Sisters« die erfolgreiche, sich brisanten aktuellen Themen widmende Neukölln-Trilogie. Der dritte Teil entstand nach dem Roman »ArabQueen« der Berlinerin Güner Yasemin Balci und wurde für die Bühne von Nicole Oder (Regie) und Elisabeth Tropper konzipiert. Das Stück ist logisch aufgebaut und sprachlich gut, allerdings mit zwei Stunden mindestens zwanzig Minuten zu lang. In sich gekürzt könnte es gewinnen, denn schauspielerisch ist es mit Tanya Erartsin, Sascha Ö. Soydan und der unverwechselbaren Inka Löwendorf ausgezeichnet besetzt. Sie spielt die deutsche, gerade aus Paris nach Berlin gezogene Lena – die sich mit Mariam in dem Stück anfreundet und ihr von Shakespeares Romeo und Julia erzählt.
Mit der Inszenierung öffnet sich die Tür zu einem sehr traditionell muslimischen Haushalt. Brot backen, Waschrituale, das Bedienen des Vaters, das Putzen der Wohnung durch die Töchter und mehr zeigen Alltägliches. Als die jüngere Schwester, für die Hochzeiten noch reine Romantik sind, einmal aus der Reihe tanzt, schneidet der Vater ihr die schönen Haare ab, um sie zu maßregeln.
Mariam ist gläubig ohne Zwang. Es ist nicht die Religion, die ihr Fesseln anlegt. »O Allah, mache zwischen mir und meinen Sünden eine Entfernung wie die, die Du zwischen dem Osten und dem Westen gemacht hast...« (aus Du'a, einem islamischen Bittgebet). Sie will keinen Sex vor der Ehe. Aber wenn, dann will sie aus Liebe heiraten und nicht einem fremden Mann zugeteilt werden wie ihre Mutter. Was sie will, ist Menschenrecht.
Wenn man auf den Gedanken kommt, hier würden Klischees bedient, ist man auf dem Holzweg. Balcis Roman fußt auf einer wahren Geschichte. Sie sagt, das Buch zu schreiben sei ihr Versuch, sich mit den Mariams zu solidarisieren, die unter uns leben. »Sie verdienen eine andere Zukunft als die, in der sie immer wieder in ein fremd bestimmtes Schicksalskorsett gezwängt werden.«
Was für uns wie ein Frauenschicksal in einem orientalischen Märchen anmutet, ist nicht an Religion gebunden, aber heute leider noch üblich. Menschen, die sich »unter Ungläubigen lebend« krampfhaft an solche zweifelhaften Traditionen klammern, werden im Stück charakterisiert. Für halbherzige Kompromisse – wie ein Alibi für Mariams Disco-Besuch – ist die Rolle der Tante geschaffen. Um ein paar freie Stunden für das Mädchen herauszuschinden, umschmeichelt sie den im Stück unsichtbar bleibenden Vater.
Wenn die Tür am Ende hinter Mariam zufällt, ist alles gesagt. Nicht nur über ihre gewonnene Freiheit, auch über die Konsequenzen und die Gefahr, mit denen sie nun lebt. Von nun an ist ihr bisheriges Zuhause Feindesland.
19.-21.11., 3. u. 5.12., 20.30 Uhr, Heimathafen Neukölln, Studio, Karl-Marx-Str. 141, Neukölln, Infos unter Tel.: 56 82 13 33, www.heimathafen-neukoelln.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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