Vielstimmig gegen Rechts
Das Gedenken an den getöteten Hausbesetzer Silvio Meier ist mehr als ein stiller Trauermarsch
Mit mehr als 3000 Teilnehmern zog die Silvio-Meier-Demonstration am Samstag durch Friedrichshain. Wie sehr dieser Marsch notwendig ist, das zeigt die Schändung der Gedenktafel für den getöteten Hausbesetzer. In der Nacht auf Dienstag besudelten Unbekannte die Metallplatte in der U-Bahnstation Samariterstraße mit schwarzer Teerfarbe. Auf dem Zwischendeck wurde Silvio Meier vor 18 Jahren von dem Neonazi Sandro S. mit mehreren Messerstichen in die Brust getötet. Seitdem erinnern Antifaschisten jedes Jahr im November an die Tat. Für einen Vertreter der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) war die Farbattacke eine Provokation gegen die Gedenkdemonstration.
Der Anschlag ist aber auch eine Drohung. Er zeigt, dass die extreme Rechte trotz schwindender Strukturen noch immer handlungsfähige Akteure hat, die vor keiner Auseinandersetzung zurückscheuen. Die zumeist jugendlichen Demonstranten reagierten darauf und wollten ihrerseits ebenso Stärke zeigen: Die Reihen waren geschlossen, ihre Sprechchöre vielstimmig. Sie riefen zum Selbstschutz auf, darin sehen sie eine Notwendigkeit.
Denn das Friedrichshainer Register zählt in den alternativen Kiezen rund um die Frankfurter Allee die meisten rechtsextremen Vorfälle in der Stadt. In diesem Jahr hat die Initiative bis Ende Oktober bereits 75 Delikte dokumentiert, darunter häufig Nazischmierereien, aber auch Drohungen und Verletzungen. Zuletzt ereignete sich im Juli 2009 an der S-Bahnstation Frankfurter Allee ein beinahe tödlicher Übergriff, der dem gegen Silvio Meier ähnelt: Auch der Antifaschist Jonas K. geriet mit seinen Freunden mit Neonazis aneinander, die durch Thor-Steinar-Kleidung auffielen – eine bei Rechten beliebte Marke. Der Konflikt wurde handgreiflich, Jonas K. ging zu Boden und überlebte nur mit Glück die Bordsteinkicks des Neonazis Oliver K.
Die Polizei fand heraus, dass einer der Rechten dem Schwerverletzten prophezeite: »Du Zecke wirst nicht mehr aufstehen.« Auch bei der Messerattacke auf Silvio Meier tönten die Täter: »Jetzt haben wir es euch gezeigt, ihr linken Säue.« Trotz dieser Verbalattacken wurde ein rechtsextremer Beweggrund bei beiden Vorfällen anfangs geleugnet. Erst nach Protesten räumten die Ermittler ein, dass Hass gegenüber Andersdenkenden ein Motiv für die Brutalität der Neonazis war. Jetzt fordert der Ortsverband der LINKEN zusammen mit der örtlichen Antifa, in Friedrichshain eine Straße nach Silvio Meier zu benennen. Franz Schulz, der grüne Bezirksbürgermeister, unterstützt das Bestreben: Zivilcourage gegen Rechts zu würdigen, sei ein wichtiges Signal.
In uniformer schwarzer Kleidung schoben sich die Protestierer in der Abenddämmerung durch den Friedrichshainer Südkiez. Aus den Nebenstraßen strömten scharenweise Nachzügler hinzu, bis der Marsch auf der Warschauer Straße beide Fahrspuren einnahm. Von den Dächern zündeten Aktivisten bengalischen Fackeln und Feuerwerksraketen. Dazu spielten die Veranstalter im Lautsprecherwagen Songs, die auch im Fußballstadion nach einem Tor ertönen. Ein wenig feierten sich die Protestierer selbst.
Die Polizei hielt sich auffallend zurück, war aber in den Nebenstraßen mit vielen Kräften einsatzbereit. Nur vereinzelt gab es Anfeindungen zwischen Ordnungsmacht und Demonstranten, selten Rangeleien, in denen die Protestierer mit geballten Fäusten in der Tasche vor den Beamten standen. Zuletzt wurden in Berlin Stein- und Flaschenwürfe auf linken Demonstrationen als Mordversuche gewertet, und die Staatsanwaltschaft setzte drakonische Strafen an.
Für die tödlichen Messerstiche auf Silvio Meier musste der 17-jährige Haupttäter Sandro S. wegen Totschlags für viereinhalb Jahre ins Gefängnis. Anfang dieses Jahres wurde Oliver K., der Jonas K. beinahe totgetreten hätte, zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt.
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