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Aufstand der Avatare

Die Comic-Band Gorillaz verzauberte das Berliner Publikum mit Reizüberflutung

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Ende mussten sich die Fans erst einmal sammeln. Erfüllt, geradezu überflutet rekapitulierte das Publikum erschöpft, was es da gerade erlebt hatte. Denn was die britische Band Gorillaz bei ihrem einzigen Auftritt in Deutschland am Sonntag im Berliner Velodrom aufführten, ist mit dem Begriff Konzert völlig unzureichend beschrieben. Die bunte, gut gelaunte, im besten Sinne uncoole Truppe um Sänger, Keyboarder und Mastermind Damon Albarn spielte nicht einfach ihre Pop-Perlen herunter – sie brannte ein Feuerwerk der Reize und der Verschwendung ab und lieferte eine bezaubernde Mischung aus Musik, Videoperformance und Rollenspiel.

Berühmt wurden die Gorillaz als virtuelle Comicfiguren des »Tank-Girl«-Zeichners Jamie Hewlett, der die Genre sprengende Musik Albarns auf ein hippes und verwegenes Quartett jugendlicher Verweigerer übertrug. Dabei war ursprünglich gar nicht geplant, die gezeichneten Avatare durch »echte« Entsprechungen auf der Bühne zum Leben zu erwecken. Zu diesem Schritt wurden Albarn und Hewlett gottlob durch den Erfolg gezwungen: Bereits die erste Single – das trotz Werbe-Entfremdung wunderbar luftige »Clint Eastwood« – und seit ihr sämtliche Veröffentlichungen stürmten die Charts. Ursprünglich gegründet, um die Substanzlosigkeit und Austauschbarkeit des MTV-Pop-Geschäfts zu kommentieren, wurde das Projekt Gorillaz unabsichtlich selber Teil davon.

Los ging es am Sonntag mit einem Intro-Film auf riesenhafter, hinter der Bühne gespannter Leinwand. Schon hier zeigten die vom Leichtmatrosen bis zum finsteren Käpten allesamt maritime Rollen einnehmenden Musiker, dass sie nicht nach Berlin gekommen waren, um zu kleckern: Das orchestrale Eingangsstück der aktuellen Platte »Plastic Beach« etwa kam da nicht vom Band, sondern wurde von einem Streicherensemble live kredenzt. Die Bläser wurden nicht vom Keyboarder gespielt, das übernahm ein zehnköpfiger Bläsersatz. Und warum soll man die in einigen Songs erklingenden Worldmusic-Elemente samplen, wenn man – wie die Gorillaz – gleich das Syrische Staatsorchester einfliegen kann?

Ähnlich wie Quentin Tarantino, der für seine Filme gerne abgehalfterte Hollywood-Größen reanimiert, holten die Gorillaz einen ganzen Strauß an verdienten aber abgetauchten Musikern aus der Versenkung: Mit der ehemaligen R'n'B-Queen Neneh Cherry, dem Funk-Veteran Bobby Womack oder den Hip-Hop-Urgesteinen von De la Soul gewährte man gleich drei wichtigen Positionen der schwarzen Musik die Bühne. Mit den Auftritten von Mick Jones und Paul Simonon wurde den Punk-Vorreitern von The Clash – sicherlich wichtige Inspiration für Damon Albarn – Tribut gezollt. Von der Leinwand grüßten in köstlichen Auftritten Stars wie der Rapper Snoop Dog oder auch Bruce Willis.

Und so kam das Publikum aus dem Staunen nicht heraus. Dass die Fans aber angesichts des quirligen, unübersichtlichen Bühnengeschehens und der teils wunderschönen, teils abgründigen und beunruhigenden Video-Kunst das Tanzen nicht vergaßen, dafür sorgte schließlich die kaum einzuordnende Musik. Da wurde munter zwischen melancholischem Pop, kantigem Hip-Hop, knackigem Funk oder drogenlastigem Dub changiert – wobei es Tausendsassa Albarn stets schaffte, die rote Linie gegen die Beliebigkeit zu verteidigen. Geboten wurden viele Stücke der neuen Platte und ein Best-Of der Vergangenheit.

Wer einen Wehrmutstropfen in dieser außergewöhnlichen Show finden wollte, konnte ihn allenfalls in der Überflutung ausmachen. So war es schlicht unmöglich, allen Facetten des mit Comic-Art, Musikhistorie und aktuellen (auch politischen) Bezügen vollgestopften Abends zu folgen. Als beste Strategie musste sich der Fan dabei wie einem spektakulären Film einfach er- und hingeben. Großes Kino.

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