Geld, Macht und Liebesentzug

»Das Rheingold« in Halle – musikalisch überzeugender Auftakt eines besonderen »Rings«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Bleiben fröhlich: die Rheintöchter
Bleiben fröhlich: die Rheintöchter

Um Geld und Macht, um Liebe und deren Entzug geht es in der Halleschen Kultur momentan nicht nur, wenn diese Koordinaten menschlichen Handelns so exemplarisch wie in Wagners »Rheingold« durchdekliniert werden. Es hätte zwar nicht ursächlich am immerhin 2,5 Millionen teuren »Ring«-Projekt gelegen, wenn eine kurzsichtige Wegsparpolitik ausgerechnet dem Thalia Theater, dem einzigen Kinder- und Jugendtheater Sachsen-Anhalts, den Garaus gemacht hätte. Aber die Erleichterung, dass man diese kultur- und jugendpolitische Katastrophe via Haustarifvertrag und kollektivem Lohnverzicht im letzten Moment abwenden konnte, ist Karl Heinz Steffens buchstäblich anzumerken, wenn er sich jetzt zu seinem Großprojekt äußert.

Steffens ist nicht nur der Opernchef und Generalmusikdirektor der Staatskapelle Halle, sondern auch der Leiter der in Ludwigshafen beheimateten Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Bis zum Wagner-Jahr 2013 wird er gemeinsam mit Theaterurgestein und »Theater im Pfalzbau«-Chef Hansgünter Heyme am Regiepult, und mit seinen Orchestern in Halle (für Halle) und in Ludwigshafen (für Ludwigshafen) einen »Ring des Nibelungen« schmieden, dessen Protagonisten im Wesentlichen vom Halleschen Theater kommen. Merkwürdig ist, dass man ein solches Unternehmen immer noch als deutsch-deutsches Projekt anpreist: Beim Aufschlagen des Programmheftes lächelt uns Kurt Beck mit einem Grußwort entgegen. Aber sei's drum: Wenn es Wagners Musiktheater dient – warum nicht auch ein solcher Anachronismus.

Es ist Karl Heinz Steffens' Ehrgeiz zu verdanken, dass jetzt in Halle der erste »Ring« seit Kriegsende begonnen wurde. Die Sache lässt sich vielversprechend an. Vor allem musikalisch ist das »Rheingold« ein Wurf. Auch wenn das Orchester förmlich aus dem engen Graben quillt, teils sogar übereinander gestapelt sitzt: Einen Wohlfühlklang für Wagner liebende Ohren produzieren diese Musiker durchweg. Vom aus dem Nichts anhebenden Wogen am Rheingrund über das Umspielen der mit bestechender Klarheit artikulierenden Sänger bis hin zu den großen Klangbildern für den Abstieg nach Nibelheim und die finale Fahrt mit dem göttlichen Transport-Lift Richtung Schnürboden/Götterburg. Das ist aus einem Guss, mit innerer Anteilnahme und Blick aufs Ganze und bleibt, auch in der Wucht, immer in einer sängerverträglichen Dosierung.

Das Ensemble beweist zudem, dass man auch jenseits der Riege der herumreisenden Spezialisten mehr als ordentlichen Wagner-Gesang bieten kann. Dies gilt, allen voran, für Gerd Vogel als Alberich. Was das langjährige Ensemblemitglied an stimmlicher Gestaltung und charismatischem Spiel abliefert, hat ein Format, das auch an größeren Bühnen selten ist. Dabei kommt ihm dieser verrucht anzügliche, kein bisschen gnomenhaft angelegte Alberich entgegen. Auch die aus der Seitenwand im Halbwelt-Korsett einer Animiertänzerin auftauchende Erda von Julia Faylenbogen treibt einen für die Zeit ihrer Warnung vor dem Ende auf die Stuhlkante. Paul McNamara serviert seinen verschmitzten Loge mit einem so belcantischen Drive (und als Brite in einer fabelhaften deutschen Diktion!), das er damit den Feuerhalbgott auch mit stimmlichem Charme beglaubigt. Ulrike Schneiders fulminante Fricka ist für die Hallenser keine Überraschung. Den soliden Wotan von Gérard Kim stellt Asegeir Páll Agústssons Donner sogar noch in den Schatten. Ralph Ertels Mime, die beiden Riesen Alexander Vassiliev (Fasolt) und Christoph Stegemann (Faffner), Anke Bernd als Freia und Nils Giesecke als Froh ergänzen das auf dem Trockenen und in der Höhe agierende Personal.

Für dieses Personal hat Hansgünter Heyme einen spitz zulaufenden Bühnenraum gebaut. Auf der einen Seite wird er von einer mit Zahl-Zeichen-Codes ausgestatteten Wand, auf der anderen von diversen Requisiten begrenzt. Was interpretatorisch auf einen Erzählpfad deutet, der sich zwischen Theater-auf-dem-Theater und Visionärem durchschlängelt. Das auf Loges Handzeichen reagierende Feuer und der plätschernde Rhein sind effektvoll an der Rampe platziert. Da verlustieren sich auch die Rheintöchter (Ines Lex, Sophie Klußmann und Sandra Maxheimer) ziemlich freizügig mit Alberich. Dass die selbst dann noch, als ihnen Alberich das Rheingold schon geklaut hat, immer noch ganz proper aussehen und nicht begriffen haben, dass der ihnen damit das Licht ausgeknipst hat, gehört zu jenen Inszenierungsfragen, die man sich auch anders beantwortet vorstellen könnte.

Auch, dass Freia kein Problem damit hat, fröhlich in den Kreis einer Sippschaft zurückzukehren, die sie erst verschachert und dann nur mit Müh und Not wieder ausgelöst hat, erstaunt. Warum für Loge ein Double mit nach Walhall entschwebt und das Original unten sitzen bleibt und mit Geldscheinen um sich wirft, gehört ebenfalls zu den Geheimnissen der Regie. Auch muss das Ernst-Bloch-Zitat auf dem Vorhang aus Kinderzeichnungen »Vorschein auf der fernsichtlichen Höhe der Zeit« seine Botschaft erst noch offenbaren. Sinnstiftend und eingängig sind dagegen die am Ende herumschwebenden Todesengel und sogar witzig das Bratäpfelchen für Loge zum Finale.

www.ring2013.de

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