Erderwärmung lässt Europa frieren

Meteorologen sagen einen langen und kalten Winter voraus – nicht nur für dieses Jahr

  • Roland Mischke
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Golfstrom bringt weniger Wärme als in den vergangenen Jahren. »Europas Heizung« ist gedrosselt und es steht ein Eiswinter ins Haus. Aber auch die Erderwärmung führt zu kalten Wintern in Europa.

Es gibt den Hundertjährigen Kalender, Bauernregeln und die Wissenschaft. Die ersten beiden vermelden nichts Auffälliges, aber die Meteorologen sind sich einig wie selten: Der bevorstehende Winter wird lang, sehr kalt und kommt mit viel Schnee und Eis. Nach der Auswertung der Wetterentwicklung in diesem Jahr wagen sie übereinstimmend konkrete Vorhersagen bis Anfang 2011.

»Wir werden in den kommenden Monaten mit eisiger Polarluft überschüttet«, erklärt Dominik Jung vom Dienst wetter.net, der für diesen Winter zwei lang anhaltende Kälteperioden prophezeit. Die Wahrscheinlichkeit liegt für ihn bei mindestens 65 Prozent. Demnach wird es demnächst viel Schnee geben, wir erleben mit ziemlicher Sicherheit eine weiße Weihnacht. Zum Jahreswechsel wird es tauen, doch schon an den ersten Januartagen kehrt die Kälte mit Macht zurück; tagsüber wird überwiegend Frost herrschen, für die Nächte liegen die Tiefstwerte bei minus 20 Grad. Der Februar startet milde, bevor Mitte des Monats die zweite Kältewelle anrollt. Nach einem überwiegend kühlen März kommt der Frühling erst im April. Es könnte, so Metereologe Jung, der härteste Winter seit hundert Jahren werden.

Entscheidend für den Winter sind nämlich die Herbstmonate Oktober und November. Der Oktober war kälter als üblich, der November, obwohl er zum Ende hin kalt geworden ist, viel zu warm, 4,5 Grad über dem Durchschnitt. Kalter Oktober plus warmer November ist gleich harter Winter – diese Formel trifft seit Jahren zu.

So war es auch im Rekordwinter 1962/63, da fror der Rhein zum letzten Mal zu. An der Loreley staute sich das Eis so massiv, dass keine Eisbrecher mehr durchkamen. Die dicke Schicht musste gesprengt werden. Die Abweichung von der Norm belief sich damals auf 5,7 Grad nach unten. Im letzten Januar und Februar dagegen, den viele als sehr kalt in Erinnerung haben, war es im Vergleich zum langjährigen Durchschnittswert nur um 1,5 Grad kälter.

Andere Fachleute bestätigen: Im Norden Europas und über Sibirien baut sich derzeit ein riesiges Kältepolster auf. Gleichzeitig transportiert der Golfstrom deutlich weniger Wärme als im statistischen Mittel. Diplom-Meteorologe Jürgen Schmidt von Wetterkontor verweist auf die Westwindzone über dem Atlantik, die im Winter oft milde Luft nach Deutschland schwappen lässt, sich aber schon stark abgeschwächt hat. Der warme Meereswind wird es voraussichtlich nicht bis in unsere Breitengrade schaffen. Das hat eben mit dem Golfstrom zu tun. Dieses gewaltige Strömungssystem im Atlantik und der Nordsee mit einer Wärmeleistung von 250 000 Atomkraftwerken sorgt dafür, dass das warme Wasser der Tropen mit dem kalten der Polarregionen vermengt wird. Doch der Golfstrom ist in diesem Jahr um etwa zehn Prozent geschwächt. »Schon in den letzten zwei Jahren hat er deutlich weniger Wärme transportiert, in diesem noch weniger«, so Meteorologe Karsten Brandt von donnerwetter.de.

Europas Heizung ist zurückgedreht. Warum, darüber streiten die Gelehrten. Schuld daran könnte die Ölkatastrophe vom April im Golf von Mexiko sein. Der Verursacher BP schüttete seiner Zeit 7,5 Millionen Liter der Chemikalie Corexit ins Meer, um das ausgelaufene Öl fein zu verteilen. Dadurch ist der Golfstrom, der am äußeren Küstenabschnitt von North Carolina vorbeifließt, aus dem Takt geraten. Würde der Golfstrom ganz ausfallen, käme eine neue Eiszeit über Europa. Darauf deutet jedoch bisher nichts hin.

Eine andere Theorie in einer Studie der renommierten Experten des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, erklärt die kälteren Winter mit der globalen Klimaerwärmung. Im Computermodell wurde errechnet, dass der Schwund des Meereises in nördlichen Gefilden – etwa der Barentssee oder um Grönland – sich auf das Klima in unseren Breitengraden direkt auswirkt. Das freiliegende Wasser gibt Wärme an die kalte Polarluft ab, die unteren Atmosphäreschichten heizen sich auf. So entstehen großräumige Tiefdruckgebiete über Nordeuropa sowie Nord- und Zentralasien und kalte arktische Luft strömt Richtung Süden. Die Wahrscheinlichkeit sehr harter Winter in Europa wird dadurch um das Dreifache gesteigert.

Auffällig für Zentraleuropa ist, dass es 2010 fünf Monate gab, in denen es teilweise deutlich zu kalt war: Januar, Februar, Mai, September, Oktober. Das gab es seit zehn Jahren nicht mehr.

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