Weltmeisterschaften zu verschenken
Korruptionsverdacht überschattet heutige Vergabe der Fußballendrunden 2018 und 2022
England setzt auf die »Three Lions« David Cameron, Prinz William und David Beckham, die USA bauen auf den Charme von Ex-Präsident Bill Clinton – nur die russische Delegation muss bei der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 auf ihre Trumpfkarte verzichten. Ministerpräsident Wladimir Putin wird sein Land bei der heutigen Wahl in Zürich nicht persönlich unterstützen.
Für Putins Anwesenheit gebe es keinen Anlass, weil die Exekutivmitglieder des Weltverbandes FIFA bereits entschieden hätten, für welches Land sie stimmen würden, zitierte die Zeitung »Gaseta« einen Regierungsbeamten.
Franz Beckenbauer bestätigte diese Annahme. »Für 2018 habe ich mich schon entschieden, auch der DFB und die Liga waren weitgehend meiner Meinung. Ich werde aber nicht sagen, wer es ist. Für 2022 muss man mal sehen. Da gibt es eine Tendenz, aber noch keine hundertprozentige Entscheidung«, sagte Beckenbauer.
Ozeanien hat indes keinen Vertreter seines Kontinentalverbandes dabei, wenn am Donnerstag nur noch 22 vorwiegend ergraute Herren in der FIFA-Zentrale abstimmen. Man konnte keinen Ersatzmann für sein Exekutivmitglied Reynald Temarii (Tahiti) nominieren, der seine Suspendierung wegen mutmaßlicher Bestechlichkeit nicht akzeptiert.
Temariis Anwältin warnte sogar davor, dass die geheime Wahl ungültig sein könnte. »Das Risiko der FIFA ist, dass ihr Votum unwirksam sein könnte, wenn der Sportgerichtshof CAS die Suspendierung aufheben sollte«, sagte Geraldine Lisieur.
Der Funktionär aus Tahiti, der im Vorfeld seine Stimme zum Kauf angeboten haben soll, will in die Berufung gehen. »Ich habe mich entschieden, nicht auf dieses fundamentale Recht zu verzichten, um meine Ehre, Würde und Integrität nach diesen verleumderischen Vorwürfen wiederherzustellen«, schrieb Temarii in einem Brief an die FIFA.
Seine Anwältin kritisierte, dass der Weltverband nicht gegen die Anfang der Woche unter Korruptionsverdacht geratenen Exekutivmitglieder Ricardo Texeira, Nicolás Leoz und Issa Hayatou vorgegangen sei. »Wenn die FIFA die aktuellen Fälle nicht wie bei meinem Klienten verfolgt, werde ich das in einem Prozess nutzen«, warnte Lisieur.
Während andere Staatsmänner ihren Bewerbungen bei der letzten 30-minütigen Präsentation noch einmal Rückenwind verleihen wollen, hat Putin den Besuch von Veranstaltungen in Kaliningrad geplant. »Ich trete die Reise aus Achtung vor der FIFA lieber nicht an, um ihr die Möglichkeit zu geben, in Ruhe und ohne Druck objektiv zu entscheiden«, sagte Putin.
Bei den englischen Buchmachern ist Russland trotzdem Favorit, für 2022 liegt Katar in den Wettbüros vorn. Die Macher locken mit der Erschließung neuer, lukrativer Märkte. »Eine WM in Katar würde noch nie dagewesene wirtschaftliche Möglichkeiten bieten«, sagte Hassan Al-Thawadi, Generalsekretär des Bewerbungskomitees, am Mittwoch bei der Präsentation im FIFA-Haus.
Südkorea hat eine politische Botschaft in den Mittelpunkt seiner Kandidatur gestellt. »Der Fußball ist ein Friedensbotschafter, und den benötigen wir auf der koreanischen Halbinsel«, appellierte FIFA-Vizepräsident Chung Mong-Joon an seine Kollegen.
Australien setzt auf die Sportbegeisterung seiner Einwohner und die Tatsache, dass noch nie eine WM auf dem fünften Kontinent stattgefunden hat. »Wir werden Weltmeisterschaften veranstalten, die alle Erwartungen übertreffen«, sagte Verbandspräsident Frank Lowy.
Wahlverfahren
Das Abstimmungsprozedere sieht so aus: Zuerst wird über die WM 2018 abgestimmt, dann über die WM 2022. Die Abstimmung ist geheim. Für den Zuschlag ist die absolute Mehrheit (50 Prozent +1) notwendig. Sollten am Ende zwei Bewerber dieselbe Stimmenanzahl erhalten, entscheidet das Votum von FIFA-Präsident Joseph Blatter.
Nach jeder Abstimmungsrunde, in der kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht, fällt der Bewerber mit den wenigsten Stimmen heraus. Nach der finalen Entscheidung wird das Ergebnis ohne vorherige öffentliche Bekanntmachung von einem Notar an Blatter zur Bekanntgabe überreicht. SID
Die Bewerber 2018
England
Der WM-Gastgeber von 1966 plant mit einem Budget von 2,54 Milliarden US-Dollar (etwa 1,95 Milliarden Euro). Gespielt werden soll in zwölf Städten mit 17 Stadien, davon allein vier in London. Bei der Inspektionsreise der FIFA wurden keine Schwächen in der Bewerbung festgestellt. Offen ist, ob die negative Berichterstattung über den Fußball-Weltverband FIFA in den englischen Medien, die den neuen Korruptionsskandal aufdeckten, für den bisherigen Favoriten zum Bumerang wird.
Russland
Das riesige Land hat noch nie eine Fußball-Weltmeisterschaft ausgerichtet. Die großen Distanzen zwischen den geplanten 13 Spielorten sind wohl das größte Problem der Bewerbung, zumal die Flug- und Zugverbindungen schlecht sind. Die veranschlagten Gesamtkosten liegen mit 3,82 Milliarden Euro daher wesentlich höher als beim Rivalen aus England. Von den geplanten 16 Spielstätten müssten 13 neu gebaut oder komplett umgebaut werden.Niederlande & Belgien
Sicherlich die schwächste Bewerbung mit den geringsten Erfolgsaussichten. 14 Stadien in 12 Städten stünden zur Verfügung, die Kosten sind auf 2,43 Milliarden Euro veranschlagt. Problempunkte sind die touristische Infrastruktur und fehlende staatliche Garantien. Ein Vorteil sind die kurzen Wege zwischen den Spielorten.
Niederlande & Belgien
Sicherlich die schwächste Bewerbung mit den geringsten Erfolgsaussichten. 14 Stadien in 12 Städten stünden zur Verfügung, die Kosten sind auf 2,43 Milliarden Euro veranschlagt. Problempunkte sind die touristische Infrastruktur und fehlende staatliche Garantien. Ein Vorteil sind die kurzen Wege zwischen den Spielorten.
Spanien & Portugal
Die Iberer haben von den FIFA-Inspektoren in den wichtigsten Punkten die besten Noten erhalten. Vorgesehen sind 21 Stadien in 18 Spielorten, davon mit Porto und Lissabon nur zwei in Portugal. Die Kosten sind mit zwei Milliarden Euro vergleichsweise gering. Angeblich sollen sich bereits sieben Exekutivmitglieder für den Geheimfavoriten entschieden haben. So hat der südamerikanische Kontinentalverband bereits erklärt, heute für Spanien und Portugal zu votieren. Außerdem gibt es Gerüchte über eine Vereinbarung der gegenseitigen Stimmabgabe mit Katar, das sich für die WM 2022 bewirbt. dpa
Die Bewerber 2022
Australien
»Down Under« war noch nie WM-Schauplatz. Geplant sind zwölf Stadien in zehn Orten. Die veranschlagten Kosten betragen 2,29 Milliarden US-Dollar. Größtes Manko ist der Zeitunterschied zu Europa, dem wichtigsten TV-Markt. Dort würden die Spiele in der Nacht oder früh am Morgen stattfinden. Dennoch gilt die Bewerbung als aussichtsreich.
Japan
Dank der WM 2002 ist ein Großteil der 13 geplanten Stadien in elf Spielorten bereits auf modernstem Stand. Lediglich eine Arena müsste neu gebaut werden, weshalb bei den Kosten mit maximal 1,3 Milliarden US-Dollar geplant wird. Trotz einer starken Bewerbung sind die Aussichten auf den Zuschlag gering, zumal staatliche Garantien fehlen.
Südkorea
Auch der Co-Gastgeber von 2002 verfügt über eine intakte Stadion-Infrastruktur. 14 Arenen in zwölf Städten sind vorgesehen, die veranschlagten Kosten sind mit 0,87 Milliarden US-Dollar am geringsten. Als Plus gelten die kurzen Wege, ungenügend ist dagegen die Hotelkapazität. Nur Außenseiterchancen.
USA
Über die Kosten schweigt sich der WM-Veranstalter von 1994 aus. 18 Stadien in 18 Städten sind geplant. Moderne Spielstätten sind zur Genüge vorhanden, dafür liegen die Orte weit auseinander und in vier verschiedenen Zeitzonen. Die Bewerbung ist ein neuer Versuch, den Fußball in den USA zu etablieren. Die Bewerbung gilt als aussichtsreich.
Katar
Geld spielt für die Scheichs in dem kleinen Land am Persischen Golf keine Rolle. Von den sieben Spielorten liegen fünf im Umkreis von 25 Kilometern – fürwahr eine WM der kurzen Wege. Geplant sind zwölf Spielstätten, die Kosten werden mit 2,87 Milliarden Dollar veranschlagt. Wegen des Hitzeproblems sollen die Stadien herunterkühlt werden. Dennoch nur Außenseiterchancen. dpa
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