Das wird als koloniale Geste gelesen
Bundesregierung kürzt Mittel des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin / Intendant Bernd M. Scherer sieht mindestens ein Festival und aktuelle Projekte bedroht
ND: Dramatisieren Sie, wenn Sie angesichts der Kürzungen von »existenzieller Bedrohung« für das Haus der Kulturen der Welt sprechen?
Scherer: Nein. Unsere Gesellschafter, nter anderem der Bund, erkennen an, dass wir bereits bei jetzigem Stand unterfinanziert sind. Die Frage war bis vor kurzem eher, wie viel Geld wir zusätzlich erhalten, um unseren Auftrag erfüllen zu können. Alle großen Projekte des nächsten Jahres sind bereits zu über 50 Prozent mit Drittmitteln über Stiftungen finanziert. Wir sind also schon zu großen Teilen von nicht planbaren Zuwendungen abhängig. Die wiederum fließen nicht ohne Eigenbeteiligung. Wenn in dieser Situation noch etwas wegbricht, ist das dramatisch.
Am kommenden Dienstag stellen Sie Ihr neues Jahresprogramm vor. Steht das nun unter Vorbehalt?
Wenn die Gelder nicht kompensiert werden, müssen wir mindestens ein großes Festival streichen. Zusätzlich müssten wir auf sämtliche aktuellen Programme verzichten, mit denen wir sonst auf wichtige gesellschaftliche Entwicklungen reagieren würden. Wir hoffen aber noch immer, dass zumindest ein Teil der Summe nun projektbezogen über Stiftungen oder Sponsoren aufgebracht werden kann. Darum haben wir auch inhaltlich noch keine Einspar-Entscheidung getroffen. Letztendlich hängt die Realisierung der einzelnen Projekte davon ab, ob jeweils noch Geld dafür eingeworben werden kann. Die, bei denen dies nicht gelingt, finden dann eben nicht statt. Insofern steht das Programm des nächsten Jahres noch unter Vorbehalt.
Regt sich Protest?
Kulturschaffende wie Dieter Kosslick von der Berlinale oder Joachim Sartorius von den Berliner Festspielen haben die Kürzungen als provinzielles Signal scharf kritisiert. Aus dem In- und Ausland erhalten wir viele solidarische Zuschriften. An der Lage hat es bislang nichts geändert.
Sind die Kürzungen politisch motiviert und hat sich das Verhältnis zum Auswärtigen Amt seit Schwarz-Gelb verändert?
Ich vermute eher, dass es eine rein formale Entscheidung war – was es nicht besser macht. Auch formale Entscheidungen haben politische Konsequenzen. Auf der Arbeitsebene im Auswärtigen Amt hat sich durch den Regierungswechsel am kollegialen Stil gar nichts verändert. Die Kürzungen aber sind Weisungen von oben.
Einerseits erhalten die Goethe Institute nun zusätzliche Mittel, um deutsche Kultur und Sprache international stärker zu verbreiten. Andererseits wird bei der Präsentation ausländischer Kulturen in Deutschland geknausert. Offenbart sich hier koloniales Denken?
Im Ausland kann das durchaus so gedeutet werden. Insofern wird da ein fatales internationales Zeichen gesendet. Ob es nun als koloniale Geste gemeint war oder nicht – es wird von außen so gelesen. Das Haus der Kulturen der Welt steht für die kulturelle Offenheit Deutschlands, die wird beschädigt. Die Menschen, die ich in anderen Ländern treffe, können die Motivation für ein solches Signal nicht verstehen. Gerade in Zeiten von Sarrazin-Debatte und Terrorwarnungen sind die Kürzungen besonders schwer nachvollziehbar. Wir beschäftigen uns als Institution mit genau den brennenden Themen, die momentan in Deutschland auch bezüglich seines Verhältnisses zum Ausland eine zentrale Rolle spielen. Da fragt man sich wirklich, wie hier Außen-Kulturpolitik verstanden wird.
Blicken Sie nun neidisch zum relativ üppig ausgestatteten Pariser Centre Pompidou, der einzigen annähernd vergleichbaren Einrichtung in Europa?
Neidisch nicht. Aber ich frage mich manchmal, warum Teile der deutschen Politik nicht verstehen, was sie am Haus der Kulturen der Welt haben. Und warum sie dessen Arbeit nun leichtfertig aufs Spiel setzen.
Macht das geplante Humboldtforum das Haus der Kulturen der Welt künftig nicht ohnehin überflüssig?
Das hängt davon ab, was letztendlich aus dem Humboldtforum wird. Sollte es ein ethnologisches Museum werden, kommen sich die beiden Häuser nicht in die Quere. Und was sich darüber hinaus am Schloßplatz entwickelt, ist noch überhaupt nicht absehbar.
Hartnäckig hält sich in einigen Medien die Kritik, das Programm Ihres Hauses sei abgehoben und theorielastig.
Wer das immer noch schreibt, hat unser Programm der letzten Jahre nicht verfolgt. Von Popkonzerten über Ausstellungen bis zu Performances haben wir zu zahlreichen Themen absolut bodenständige und »theoriefreie« Veranstaltungen organisiert. Manche Kritiker leben scheinbar in der Vergangenheit.
Ausriss einer Chronik
- Am 2. Januar 1989 übernimmt das Haus der Kulturen der Welt (HKW) die ehemalige Kongresshalle in Berlin. Es soll Zentrum für internationale zeitgenössische Künste und als Forum für aktuelle Debatten genutzt werden.
- Das Haus beginnt Anfang der 90er mit seiner Arbeit gegen Fremdenfeindlichkeit und für mehr Toleranz.
- 1992 drohen dem HKW trotz 250 000 Besucher pro Jahr finanzielle Engpässe.
- Kultursenator Ulrich Roloff-Momin setzt sich vehement für den Erhalt des Hauses der Kulturen der Welt ein, dem »Aushängeschild liberaler Kulturpolitik Deutschlands«. Im gleichen Jahr werden dem Haus die Bundesmittel einschneidend gekürzt. Es handle sich dabei um einen »Denkzettel«, gibt ein Abgeordneter freimütig zu. Kurz vor Jahresende tritt der Bund als Gesellschafter der GmbH bei.
- 1996 hält Nelson Mandela im Rahmen seines Deutschlandbesuchs eine bewegende Rede im Haus der Kulturen der Welt.
- Die allererste internationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst der »Rainbow Nation« (Regenbogennation Südafrika) wird im HKW ausgestellt. Unter dem Titel »Colours« wurden Werke von 36 Künstlern unterschiedlichster Herkunft präsentiert.
- Seit 2002 ist das Haus ein Geschäftsbereich der »Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH«, einer gemeinnützigen Gesellschaft, zu der auch die Berliner Festspiele und die Internationalen Filmfestspiele Berlin gehören.
- Im Jahr 2011 wird das HKW neue Spielstätte der Berlinale. Bei den 61. Internationalen Filmfestspielen Berlin werden dort die Premieren der Kinder- und Jugendreihe Generation gefeiert, wie Berlinale-Direktor Dieter Kosslick am 1. Dezember 2010 mitteilte.
Quelle: Haus der Kulturen der Welt
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