»Die USA sind nicht mehr handlungsfähig«

Der Frankfurter Wissenschaftler Micha Brumlik über das Einknicken von Präsident Barack Obama im Nahen Osten

  • Lesedauer: 3 Min.
Micha Brumlik wurde 1947 im schweizerischen Davos als Kind jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland geboren. Er arbeitet als Professor für Erziehungswissenschaften in Frankfurt am Main und mischt sich immer wieder in politische Debatten ein – insbesondere beim Thema Nahost. Mit ihm sprach Velten Schäfer.

ND: Präsident Barack Obama hat gerade seinen Nahostkurs korrigiert: Die USA verlangen von Israel nun keinen Siedlungsstopp mehr als Vorbedingung weiterer Friedensgespräche. Ist das hilfreich für eine Zweistaatenlösung?
Brumlik: Die Palästinensische Autonomiebehörde, der einzig verbliebene Verhandlungspartner auf der palästinensischen Seite, gerät so weiter unter Druck und wird in seinen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Die Hamas hat es leicht mit ihren Verratsvorwürfen, wenn sich zeigt, dass die Behörde nicht auf ihren eigenen Grundbedingungen beharren kann.

Gerade haben Argentinien und Brasilien den Staat Palästina anerkannt. Bringen solche externen Anstöße die Lage voran?
Das zeigt zumindest, dass sich die Gewichte in der Weltpolitik verschieben.

Und es ist gut, dass es mehr Signale aus der internationalen Gemeinschaft gibt, dass man dieses Problem nicht den USA allein überlassen darf.

Sie haben den »Lazarus-Goldschmidt-Plan« für eine Zweistaatenlösung unterschrieben und sprechen in Deutschland für diese Initiative. Was sieht sie vor?
Im Unterschied zu anderen Plattformen wie etwa der »Genfer Initiative« fordert der Vorschlag nicht, dass alle jüdischen Siedler aus Palästina in den Grenzen von 1967 abgezogen werden müssen.

Nach unseren Vorstellungen dürfen die Siedler bleiben, wenn sie es akzeptieren, loyale Bürger eines palästinensischen Staates zu werden. Das wäre ein bedeutsamer Kompromiss, denn man darf nicht vergessen, dass diesen Leuten das Land zutiefst heilig ist, auf dem sie da siedeln.

Jüdische Siedler als loyale Bürger eines palästinensischen Staates – können Sie sich das wirklich auch in der Praxis vorstellen?
Zumindest abstrakt kann ich mir das durchaus vorstellen. Gerade die ganz religiösen Siedler verbinden ihre Religion ja nicht mit einer weltlichen Staatlichkeit oder einer nationalen Idee. Aber natürlich reden wir gerade über eine Utopie. Ihr Charme ist letztlich der, dass sie zeigt: Bei gutem Willen sind Lösungen möglich, bei denen niemand völlig das Gesicht verliert.

Im Kern schlagen Sie die Zweistaatlichkeit in den Grenzen von 1967 vor. Was wird dann aus Jerusalem?
Natürlich ist das ein problematischer Punkt. Jerusalem darf nicht so geteilt werden wie einst Berlin. Jerusalem muss eine internationale Stadt bleiben, Hauptstadt zweier Staaten, sollte aber infrastrukturell und als Stadt zusammenhängen. Und es ist nicht einzusehen, wieso es unmöglich sein sollte, alle legitimen spirituellen Bedürfnisse zu befriedigen.

Ferner sieht der Plan französische und russische UN-Truppen im jetzigen Westjordanland vor ...
Es wird einer neutralen Truppe bedürfen, die einerseits an den Westen angebunden ist und andererseits an eine nicht-westliche Macht. Das sind aber Detailprobleme, die Israel und Palästina dann zu gegebener Zeit zu verhandeln haben.

Und was kann die Bundesrepublik beitragen?
Das Einknicken der USA bei der Siedlungsfrage zeigt, dass sie bereits unter dem Eindruck der nächsten Präsidentenwahlen stehen und nicht mehr handlungsfähig sind. Insofern muss die Bundesrepublik, muss die EU stärker Verantwortung wahrnehmen.

Es müssen beide Seiten sehr nachdrücklich daran erinnert werden, welche Verpflichtungen sie in der sogenannten Roadmap bereits eingegangen sind. Gegebenenfalls muss Europa auch seine privilegierte Partnerschaft zu Israel überprüfen.

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