Birnenschnaps im »Trampeltier«

Die aktuellen Entwicklungen der deutschen Netzpolitik sind rational kaum zu erklären.

  • Lesedauer: 4 Min.
Wann genau das hochgeheime Treffen im Gasthof »Zum Goldenen Trampeltier« stattfand, lässt sich im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren. Irgendwann im Herbst 2006 muss es gewesen sein. Noch zu Zeiten der Großen Koalition. Rauchschwaden durchzogen das Hinterzimmer der rustikal eingerichteten Kaschemme, als der Big Boss der Rechtsanwälte-Lobby sprach: »Hey, Bundesregierung, leg‘ mal eine riesige Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme für uns auf, schließlich leidet die Branche unter einer Anwaltsschwemme!«
Die Antwort der Regierung war eindeutig: »Klar, Rechtsanwaltslobby, machen wir. Wir möchten aber gerne gleichzeitig die Anarchie in dem Dingsda, na, sag schon, dem Internet da beenden. Der Pöbel nervt einfach zu sehr. Irgendwelche Einwände?« – »Passt schon!«, sprach die Lobby. Irgendwer, so erinnert sich ein Informant, reichte Birnenschnaps.

Was wie eine irre Verschwörungstheorie klingt, ist die einzige halbwegs rationale Möglichkeit, die aktuellen Entwicklungen in der Netzpolitik zu erklären: Autoritär und von keiner Sachkenntnis geprägt sind die Versuche, dem Internet Regeln aufzudrängen, die niemandem nutzen, aber viel Schaden anrichten können.

Sie bleiben nicht unbeantwortet: Der größte Widerstand der Netzgemeinde richtet sich gegen die Novelle des Jugendmedien-Staatsvertrages, kurz: JMStV, oder in Langfassung: »Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien«. Zum 1. Januar 2011 soll sie in Kraft treten, doch die Kritik ist herb – vor allem jene, die sich gegen die geplante Altersfreigabe von Webinhalten richtet. »Denn«, so die Wochenzeitung »Die Zeit«, »die Betreiber von Blogs und Websites müssten quasi jeden Kommentar, der bei Ihnen eingeht, mit einer Alterseinstufung kennzeichnen, um nicht generell als ab-18-Website klassifiziert... zu werden.«

Und nicht nur jeden Kommentar: auch jeden sonstigen Text, jedes Foto, jedes Video. Und zwar rückwirkend, mitunter also für viele Jahre und verdammt viele Texte. So zumindest die Befürchtung vieler.

Wie soll Otto Normalblogger das hinbekommen ohne rechtsanwaltlichen Beistand? Gar nicht. Und wenn er seine Inhalte hinsichtlich der Altersfreigabe falsch oder gar nicht einstuft? Dann ruft er Abmahnanwälte auf den Plan. Schließlich existiert die Anwaltsschwemme tatsächlich, da hat die Rechtsanwaltslobby nicht gelogen weiland im »Goldenen Trampeltier«.

Schon drohen erste Weblogs damit, offline zu gehen. Gewiss, der Rechtsanwalt und Netzkenner Udo Vetter mahnt zur »leidlichen« Gelassenheit: Die meisten Blogs beispielsweise seien durchaus nicht jugendgefährdend, es bestehe für sie aus vielen Gründen auch künftig keine Alterskennzeichnungspflicht. Und im Notfall könnten die Daten ja »in weniger restriktive Regionen« umziehen, also auf Serverrechner in den USA oder der Türkei. Mithin seien die Regelungen des JMStV also »weltfremd«. Doch, so Vetter:»Was uns mit dem JMStV nach derzeitigem Stand droht, ist ein Regelwirrwarr und jede Menge Bürokratie.«

Eines ist sicher: Jenseits der grauen Theorie entsteht rechtlicher Klärungsbedarf um die Auslegung der staatlichen Vorgaben. Ein Freudenfest für Juristen! Auch warnt Anwalt Vetter vor »standardisierter und somit zentral lenkbarer Filtersoftware«, die »zweifellos ein solides Fundament für eine spätere Zensurinfrastruktur« wäre.

Juristen können sich auch ansonsten nicht über zu wenig Arbeit beklagen. In Bayern wurde einem Künstler unlängst eine vierstellige Summe als Geldstrafe auferlegt, weil er sich geweigert hatte, im Web veröffentlichte Fotos zu löschen. Seine »Heroin Kids« seien »sozialethisch desorientierend«, befand eine Landesbehörde des bajuwarischen Bundeslandes. Und fand vor Gericht Gehör.

Keinen Anlass zur Freude bietet zudem eine Ankündigung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle: Er will eine »Task-Force innerhalb seines Ministeriums für IT-Sicherheit« (»Die Welt«) etablieren. »Wir werden uns auch verstärkt um den Cyber-War kümmern«, sprach Brüderle. Anlass seiner Äußerungen waren die Wikileaks-Veröffentlichungen, die den FDP-Mann an die »Sammelwut« der Stasi erinnern.

Derweil träumt Bundesinnenminister Thomas de Maizière davon, sich zum Herren des Internets aufzuschwingen. Web-Veröffentlichungen möchte er gelegentlich »unterbinden«, erklärte er Mitte letzter Woche. Zum Beispiel dann, wenn Menschen in »ehrverletzender Weise« beschrieben oder abgebildet werden. Notwendig, so der Bundesinnenminister, sei »ein breiter Ansatz, der das gesamte Internet einbezieht«.

»Ehrverletzend«? Juristen reiben sich die Hände. Denn »ehrverletzend« ist ein sehr schwammiger Begriff mit viel Interpretationsspielraum. Und zumindest (Polit-)Promis können das Risiko eingehen, sich gute Anwälte leisten. Im Gegensatz zum gemeinen Volk übrigens. Doch wie will der Minister gegebenenfalls Daten-Löschungen durchsetzen? Das würde jene »Infrastruktur... für eine umfassende Zensur« voraussetzen, vor der der Bundesdatenschutzbeauftragte bei früheren Gesetzesplänen warnte.

Es gehe ihm um den »Schutz des Persönlichkeitsrechts«, verkündete de Maizière. Ansonsten solle viel Freiheit herrschen im Internet. Sein mit heißer Nadel gestrickter Entwurf zur Reform des Bundesdatenschutzgesetzes muss noch im Bundeskabinett abgestimmt werden.

Vielleicht sollten sich die Kanzlerin und ihre Minister mal wieder im »Goldenen Trampeltier« treffen. Gerüchte besagen: Der Wirt soll die Birnenschnapsvorräte wieder aufgefüllt haben.

Surftipps:

RA Udo Vetter: »Blogger können leidlich gelassen bleiben«

Aktionswebseite »JMStV ablehnen«

Webseite netzpolitik.org
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