Verpuffter Rausch
»Heymweh« im Theater unterm Dach wird Georg Heym nicht gerecht
Er war exzessiv, sehnsüchtig und hungrig auf das Leben, das er doch so früh verlor: Mit gerade mal 24 Jahren starb Georg Heym (1887-1912) bei einem Eislaufunfall auf der Havel in Berlin, als er einen bereits eingebrochenen Freund vor dem Ertrinken retten wollte. Im Theater unterm Dach wird der Lyriker, der als einer der bedeutendsten literarischen Früh-Expressionisten Deutschlands gilt, nun für die Bühne wiederentdeckt.
»Heymweh – eine konzertante Performance« nennt sich die Inszenierung eines internationalen Künstlertrios, das mit einem Mix aus Neuer Musik, Elementen des zeitgenössischen Tanzes, schauspielerischen Episoden und klassischem Vortrag die wortgewaltige Lyrik Heyms zu neuem Leben erwecken möchte. Es ist ein hehrer Anspruch, den der Hamburger Schauspieler und Regisseur Carsten Clemens da zusammen mit der italienischen Tänzerin Ambra Pittoni und dem kanadischen Musiker Miles Perkin versucht hat umzusetzen. Und genau das ist das Problem: Die Performance ist vor lauter Bemühung wie gelähmt, nichts ist darin zu finden von der ungestümen Wut und der Rauschhaftigkeit, die einem aus Heyms Lyrik entgegen springt.
Stattdessen werden brav kurze Einträge aus dem Tagebuch des zornigen jungen Dichters zitiert, kratzt Perkin auf dem Kontrabass dissonante Rhythmen, versucht Pittoni, den Geist Heyms mit Pantomime und eckigen Bewegungen wachzurufen. Einmal hält sie ihr Gesicht eine volle Minute lang unbewegt in den grellen Scheinwerferkegel; in einer anderen Szene spielen sie und Carsten Clemens Heyms unbändige Freude über ein Angebot des Verlegers Ernst Rowohlt nach – und wirken dabei doch eher wie Fußballer, die nach einem gelungenen Treffer brüllend über den Rasen rennen.
Die unbändige Lebenslust sowie die aus Frustration und Ekel gespeiste Wut, mit der der junge Lyriker und sein Freundeskreis gegen die Konventionen der erstarrten Vorkriegsgesellschaft rebellierten, ist nur in Heyms Texten zu spüren, vor allem in den zwölf Gedichten, die Clemens gekonnt vorträgt – u.a. die bild- und metapherngewaltige Beschwörung »Der Gott der Stadt«, dem jene »ekstatisch-dämonische Aura« anhaftet, die Marcel Reich-Ranicki an Heyms Poesie fesselt.
Diese Aura ist es, die der Inszenierung völlig abgeht. Der Zuschauer erahnt in Musik, Tanz und Texten zwar den getriebenen jungen Mann aus streng religiösem Hause, der x-mal die Schule wechselte und sein Jurastudium hasste (»es ist zum Kotzen, ich möchte das Sauzeug lieber anspeien«), der mit anderen Studenten und Künstlern im Winter 1909/10 den Neuen Club gründete. Doch der Funke springt nicht recht über. Zu ironisch-distanziert ist die Herangehensweise, zu sehr wollen die drei Anfangdreißiger der Collage ihren Stempel aufdrücken, statt dem Sprachgenie Heym und seinem Werk zu vertrauen.
Immerhin ist der Abend ein Anlass, sich näher mit Prosa und Lyrik dieses erstaunlichen Frühexpressionisten zu beschäftigen – hat er doch mit seiner Schaffenskraft nicht gegeizt und in den wenigen Jahren, die ihm blieben, erstaunliche 600 Gedichte, acht Dramen und 28 Novellen verfasst.
18./19.12. und 12./13.2., 20 Uhr; Theater unterm Dach, Danziger Str. 101, Prenzlauer Berg, Tel. 902 95 38 17
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