»Die Bildsprache setzte Maßstäbe«
Christoph Felsenstein über die restaurierten Opernfilme seines Vaters Walter Felsenstein
ND: Im Berliner Kino Babylon startet am 27. Dezember mit Beethovens »Fidelio« die Aufführung von fünf aufwendig restaurierten Filmen von Operninszenierungen Walter Felsensteins. Welche Gedanken bewegen Sie im Zusammenhang mit diesem Ereignis?
Felsenstein: Die legendären Inszenierungen meines Vaters an der Komischen Oper – von ihm selbst verfilmt, vom Deutschen Fernsehfunk produziert, hergestellt in den DEFA-Studios für Spielfilme Babelsberg in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre – der Nachwelt zu erhalten, war ein persönliches Anliegen. Damit begann ich mich Anfang der neunziger Jahre auseinanderzusetzen. Die Filme lagerten nach der Wende beim Deutschen Rundfunkarchiv Babelsberg (DRA). Das Filmmaterial war zum Teil in einem schlechten Zustand, »Das schlaue Füchslein« galt beispielsweise als nicht mehr sendefähig. Der Vorlauf zur Restaurierung der Filme und die Klärung der Rechte dauerten mehr als zehn Jahre.
Warum?
Erst 2006 gelang die Kontaktaufnahme mit einem Sponsor, der die notwendigen Mittel für die umfassende Restaurierung aller Filme bereit war aufzubringen. In Kooperation mit dem DRA und RBB-Media wurden die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, die Filme durch die Erbengemeinschaft Walter Felsensteins im Auftrag des Produzenten Arthaus-Musik bei Digital Images in Halle für eine DVD Edition aufbereiten zu lassen und zu verwerten.
Es war eine besondere Herausforderung, die Filme umfassend in Video und Audio originalgetreu so wieder herzustellen, dass sie im neuen Glanz und streng am Original orientiert das faszinierende Musiktheatererlebnis Walter Felsensteins wiedergeben.
In welcher Form wurde die Edition veröffentlicht?
Die 2008 veröffentlichte Edition umfasst fünf Filme und zwei Mitschnitte von Aufführungen an der Komischen Oper sowie zusätzliches Bonusmaterial aus dem Archiv der Akademie der Künste mit historischen Aufnahmen, Bühnenbild-Entwürfen und Probenausschnitten. Sie verdeutlichen das Lebenswerk Walter Felsensteins. Die Edition wurde 2008 mit dem Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet.
Welche Inszenierungen werden auf großer Leinwand zu sehen sein?
Eröffnet wird die Veranstaltungsreihe am 27. Dezember mit dem Opernfilm »Fidelio«, Drehbuch Walter Felsenstein und Hanns Eisler, produziert in den fünfziger Jahren in Wien. Der Film erlebte seine deutsche Erstaufführung im Filmtheater Babylon Ende der fünfziger Jahre. Des weiteren werden »Das schlaue Füchslein« (29. Dezember), »Othello« (2. Januar), »Hoffmanns Erzählungen« (9. Januar) und »Ritter Blaubart« (16. Januar) gezeigt.
Wer ist an der Verwirklichung des Projekts beteiligt?
Die Initiative ging von der Erbengemeinschaft aus. Die Filme sollen auf großer Leinwand gezeigt, dem Publikum das gemeinsame Filmerlebnis vermittelt werden, für das die Produktionen einst geschaffen wurden. Es sind Dokumente und Zeugnisse der Theaterarbeit eines Mannes, der mit seiner musikalisch-szenischen Bildsprache Maßstäbe setzte. Staunend gilt es zu erleben, wie klar, intensiv und wertvoll Oper im Film, Oper als Film ist. Die Filme werden gezeigt in Kooperation mit dem Deutschen Rundfunkarchiv Babelsberg und RBB Media, mit Unterstützung der Erbengemeinschaft Walter Felsenstein, der Akademie der Künste Berlin, Arthaus-Musik, der Komischen Oper Berlin, dem Filmtheater Babylon und Sascha Film Wien.
Welche Wünsche verbinden Sie mit der Aufführung dieser Filmdokumente?
Es sollen vor allem auch junge Menschen an das kulturelle Zeitzeugnis herangeführt werden. Im damals geteilten Deutschland strahlte die Komische Oper mit ihren Aufführungen weit über die Grenzen der DDR hinaus. Unter zum Teil schwierigsten Bedingungen entstand in Ostberlin eine Kulturszene mit der Komischen Oper, dem Brecht Ensemble und dem Deutschen Theater, die Maßstäbe setzte und die trotz der Teilung der Stadt mit der Westberliner und der internationalen Kulturszene kooperierte. Das sollte nicht vergessen werden.
Wie definierte Ihr Vater Theater?
Walter Felsenstein hinterließ mit den Filmen ein Vermächtnis. Er bekannte: »Wenn ich inszeniere, musiziere ich mit meinen Sängern. Musik und Gesang müssen in ihrer dramatischen Funktion erkannt werden. Das ist Musiktheater.« Der Anspruch und die Pflege dieses wertvollen Erbes knüpft an sein Credo über das Theater an: »Die Pflicht, die Wahrheit zu finden.« Dieses Vermächtnis geht uns alle an. Möge die Filmveranstaltungsreihe ein breites Publikum erreichen.
Interview: Ruth Eberhardt
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