»Ich wünsche mir einen Korb mit Essen«

In Rio de Janeiro prallen zu Weihnachten mehr denn je die Gegensätze von Arm und Reich aufeinander

  • Lutz Taufer, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 2 Min.
Der berühmteste Beton-Jesus der Welt thront hoch über der Millionenmetropole Rio de Janeiro. Weihnachten ist am Zuckerhut sowohl ein Fest der Freude als auch eines der Gegensätze. Luxus trifft auf Elend.
Auch bei tropischen Temperaturen kommt der Weihnachtsmann in voller Montur bei den Kindern gut an.
Auch bei tropischen Temperaturen kommt der Weihnachtsmann in voller Montur bei den Kindern gut an.

Es wird 2010 nicht anders sein. Auf dem Weg zu einem Freund stolperte ich vor Jahresfrist über Partymüll, Reste der Weihnachtsfete in einer Luxusvilla. Neben einigen Dutzend leerer Champagner-Flaschen der teuersten Marke schlief im Straßendreck eine alte, verrunzelte obdachlose Frau.

In Rio de Janeiro wohnen üppiger Wohlstand und bittere Armut Tür an Tür. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Die Zahl der Häftlinge ist seit Mitte der Neunzigerjahre sprunghaft angestiegen. Verdächtige kommen schneller hinter Gitter. Zum großen Teil sind es Schwarze und Farbige, die in den aus allen Nähten platzenden Knästen sitzen. Die reiche Minderheit sperrt sich mehr und mehr selber ein, in abgeschottete, schwerbewaffnete Wohngebiete, Kondominiums genannt. Sie haben eigene Supermärkte, Schulen und Buslinien ins unsichere Umland, Mitfahrt nur mit Kondominiumsausweis.

Weihnachten kommt es zu Begegnungen. Auf den Verkehrsinseln an der Lagoa, dem wunderschönen Binnensee zwischen dem mondänen Ipanema und dem christusgekrönten Corcovado, lagern obdachlose Familien. Bisweilen stoppt eine schicke Limousine, die abgedunkelte Seitenscheibe öffnet sich einen Spalt und ein paar warme Mahlzeiten oder andere Geschenke werden herausgereicht. Davon träumt der achtjährige Kauã de Silva Alves im bitterarmen Ilha da Itaóca. Er gehört zu jenen 11,2 Millionen Brasilianern, die, nach letzter Erhebung der statistischen Bundesbehörde IBGE, nicht jeden Tag etwas zu essen haben. Er hat mir seinen Brief an den Weihnachtsmann gegeben: »Lieber Weihnachtsmann, ich wünsche mir einen Korb mit Essen, was zum Anziehen und ein Auto zum Spielen, wenn das geht. Bitte, lieber Weihnachtsmann, denke an mich, dann wird Gott dich segnen. Ich bin sehr arm und habe kein Geld, einen Korb mit Essen zu kaufen. Wenigstens zu Weihnachten möchte ich viele leckere Sachen haben, damit wir alle zusammen zu Hause essen können. Danke für alles, was du mir schenken wirst.« Der Weihnachtsmann bin ich nicht, aber unsere Solidarität kann dafür sorgen, dass Zeiten anbrechen, in denen solche bescheidenen Wünsche allen Menschen erfüllt werden. Nicht nur zu Weihnachten.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.