»Hier geht gerade was schief«

Thüringer Linksfraktionschef Ramelow fordert von Parteiführung offene Debatte

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Zwei Jahre noch, so glaubt Gregor Gysi, brauche die LINKE, um sich zusammenzuraufen. Vorerst wird also noch gerauft. Mit einem Interview hat Bodo Ramelow, Fraktionschef in Thüringen, neues Öl ins Feuer gegossen.

»Ich sage mal, zwei Jahre brauchen wir noch«, sagte Gregor Gysi der Nachrichtenagentur dpa in einem Gespräch. Das Zusammenwachsen dauere länger, als er gedacht habe. Dennoch sei er optimistischer als vor einem Jahr. Die Streitereien in seiner Partei bezeichnete der Bundestagsfraktionschef als »Geplänkel«, das damit zusammenhänge, dass im Oktober 2011, auf einem Parteitag in Erfurt, ein Parteiprogramm verabschiedet werden soll. Das Programm brauche einen breiten Konsens. »Wir können mit einem Programm für 55 Prozent der Mitglieder nichts anfangen. Wir brauchen eines für 90 Prozent.«

Bis zu einem solchen Konsens scheint der Weg noch sehr weit. Und nach einem Geplänkel hört sich der Disput darüber auch nicht an. Schwere Vorwürfe erhebt der Thüringer Fraktionschef der LINKEN, Bodo Ramelow, in einem Interview der »Thüringer Allgemeinen« gegenüber seiner Parteiführung. Diese dürfe sich »nicht mehr als Gralshüter bestimmter Strömungen oder eines Entwurfes« begreifen und bringe nicht den Mut auf, »eine offene Debatte zu organisieren«. Die Führung übernehme »zu wenig Verantwortung«, bestätigte Ramelow gegenüber Neues Deutschland. »Hier geht gerade was schief.« Konkret benennt Ramelow allerdings einen in der Programmdebatte häufig erwähnten und umstrittenen Konflikt, den um die »roten Haltelinien«, die der bisherige Entwurf als Kriterien für eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei festschreibt. Wie vor allem ostdeutsche Politiker hält Ramelow etwa für realitätsfern, einen Personalabbau im öffentlichen Dienst zum Tabu zu erklären. Gegenüber ND besteht er allerdings darauf, dass für ihn nur ein Personalumbau in Frage käme, bei dem frei werdende Stellen nicht neu besetzt würden. »Übelkeit« verursache ihm, so Ramelow, der Vorwurf von Oskar Lafontaine in mehreren Interviews, die »sogenannten Reformer der Partei« brächten keine eigenen Vorschläge ein. Er selbst habe Lafontaine frühzeitig ein einklagbares Recht auf Arbeit vorgeschlagen, das die Partei sich auf die Fahnen schreiben solle.

Ramelows Kritik am Vorstand, der »aus reiner Verzweiflung eine Wagenburg um sich herum baut«, gipfelt in der Bemerkung: »Wenn der Vorstand weiter so agiert«, müsse man auf dem Erfurter Parteitag »über Konsequenzen reden«. Dieser Satz schließlich ist es nun, der am Mittwoch erneut die Medien zu Spekulationen über einen geplanten Sturz von Klaus Ernst anstachelte. Solche Spekulationen aber wies Ramelow zurück. Er sei bereit, sich bei der Umsetzung seiner Vorschläge persönlich in die Pflicht nehmen zu lassen, sagte er am Mittwoch. Das sei das Gegenteil von Umsturz.

Die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch reagierte gegenüber ND zurückhaltend auf die Kritik Ramelows. Bis zum Oktober hätten alle die Möglichkeit, ihre Vorschläge einzubringen. Die Debatte nehme ihren geplanten Verlauf, der Vorstand arbeite an dem Leitantrag, den er der Partei spätestens im Juli übergeben werde. Als »nicht hilfreich« bezeichnete am Mittwoch der Landesvorsitzende Mecklenburg-Vorpommerns, Steffen Bockhahn, Diskussionen um das Führungsduo der LINKEN. Der Parteivorstand sei in seiner Ganzheit bis 2012 gewählt, sagte er dpa, und die Partei sei insgesamt aufgerufen, ein »neues politisches Projekt zu entwickeln«.

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