Nach der Krise gehen Lohnforderungen hoch

Im Tarifjahr 2011 werden Gehaltssteigerungen für rund 7,5 Millionen Beschäftigte verhandelt

  • Christian Ebner, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Aufschwung verlangen die Arbeitnehmer deutlich mehr Geld. Nach der Jobsicherung stehen für die Gewerkschaften im Tarifjahr 2011 hohe Lohnzuwächse auf der Agenda. Der Konsum könnte neues Wachstum tragen.

Der Spruch mit dem kräftigen Schluck aus der Pulle wird bestimmt kommen. Nach überwundener Krise stehen die gesamtwirtschaftlichen Signale im Tarifjahr 2011 eindeutig auf höhere Abschlüsse, sofern die Schuldenkrise der Euroländer nicht eskaliert. Bei einer relativ niedrigen Inflation könnten die Arbeitnehmer der betroffenen Branchen erstmals seit langem wieder spürbare Zuwächse in ihren Geldbörsen verzeichnen. Der private Konsum, zusätzlich stimuliert vom robusten Arbeitsmarkt, könnte im kommenden Jahr das weitere Wachstum tragen.

Nach einer Zusammenstellung des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung werden 2011 die Tarifverträge für rund 7,5 Millionen Beschäftigte neu ausgehandelt. Diese relativ geringe Zahl ergibt sich schon daraus, dass der größte Flächentarif für die Metall- und Elektroindustrie erst im Jahr 2012 wieder verhandelt wird.

Auf der Agenda: Im Schnitt sechs Prozent

Noch unter dem Eindruck der Krise hatte sich die IG Metall in Rekordzeit auf einen langfristigen Vertrag eingelassen, der vorrangig die Jobs sicherte und den 3,4 Millionen Beschäftigten erst im Frühjahr 2011 eine Tabellenerhöhung von 2,7 Prozent einbringt. Etliche Großunternehmen zahlen inzwischen wegen der guten Geschäftslage freiwillige Zuschläge oder ziehen die Tarifstufe vor.

Tarifexperten rechnen daher mit höheren Abschlüssen im kommenden Jahr. Die 3,6 Prozent der Stahlkocher hat der Düsseldorfer IG-Metall-Bezirkschef Oliver Burkhard als »ersten Abschluss nach der Krise« bezeichnet. Der Abschluss habe Hoffnungen auf eine Trendwende bei der Lohnpolitik geweckt, jubelt auch Reinhard Bispinck von der Böckler-Stiftung. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und der Wirtschaftsweise Peter Bofinger befürworteten bereits Lohnzuwächse um die drei Prozent, auch weil so die ökonomischen Ungleichgewichte im Euroland zumindest zum Teil ausgeglichen werden könnten.

Die bislang bekannten Forderungen für das Tarifjahr liegen einheitlich bei sechs Prozent und mehr. Sie werden zum Beispiel bei der Deutschen Telekom (6,5 Prozent) oder beim Haustarif von Volkswagen (6 Prozent) aufgerufen. Auch ver.di liegt beim öffentlichen Dienst der Länder außer Berlin und Hessen zumindest in den unteren Lohngruppen in dieser Größenordnung, wenn sie einen Sockelbetrag von 50 Euro plus drei Prozent verlangt. Verhandlungen gibt es auch im Bauhauptgewerbe, der Druckindustrie, einigen Regionen des Einzel- und Großhandels sowie später im Jahr bei Hotels, Gaststätten und einigen beschäftigungsintensiven Handwerksbranchen.

Wasser im Aufschwungwein

In der wichtigsten Industrie-Tarifrunde verlangt die IG BCE für die rund 550 000 Beschäftigten der Chemie-Industrie 6 bis 7 Prozent mehr Geld, nachdem es beim letzten Mal nur Einmalzahlungen gab, die nicht in die Tabelle eingerechnet wurden. Der Industrieverband VCI peilt exportgetrieben für das kommende Jahr neue Rekorde bei Umsatz und Produktion an, schlechte Zeiten also für unnötige Arbeitskämpfe. Er habe großes Vertrauen in die Verhandlungspartner, die noch immer zu vernünftigen Kompromissen gekommen seien, gibt sich der neue VCI- Präsident Klaus Engel wenig kämpferisch.

Wasser in den Aufschwungwein gießt Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). »Das sind die üblichen Forderungen in einem Aufschwung«, meint er und sieht die Folgen des Einbruchs aus 2009 noch nicht komplett überwunden: »Während der Krise sind die Lohnstückkosten wie auch die Effektivlöhne deutlich gestiegen. Wir müssen zunächst das alte Produktivitätsniveau wieder erreichen, so dass für das nächste Jahr noch Lohnzurückhaltung angesagt ist.«

Die Produktivität werde künftig stärker schwanken als bislang, gibt Lesch zu bedenken, nach oben wie nach unten. »Es ist daher zu überlegen, ob sich die Tarifabschlüsse stärker an der mittelfristigen Produktivitätsentwicklung über mehrere Jahre hinweg orientieren sollen.«

Für das kommende Jahr sehen aber viele Ökonomen erstmal ein gesamtwirtschaftliches Plus von 2,4 Prozent als wahrscheinlich an. Zusammen mit der erwartet niedrigen Inflationsrate von um die 1,2 Prozent zeigen die üblichen Parameter für Tariferhöhungen in eine eindeutige Richtung.

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