Die Pointe
Cohrs wäre 90
Der Grund jedes Witzes ist die Katastrophe. Der Motor des Komischen ist die Tragödie. Wenn der Witzemacher selber eine Katastrophe ist, kann die Tragödie darin liegen, dass das Publikum über so einen lachte: Eberhard Cohrs war in der SS, in Sachsenhausen, im letzten Kriegsjahr.
Und wie haben wir über den Kleenen mit der großen Gusche gelacht! Genuschelter, froschquäkender Klamauk, listige politische Witzelei. Da lachte nicht nur der Bär, und nicht nur »Zwischen Frühstück und Gänsebraten« wurde prustend gejubelt. Wurde der 1,56-m-Riese als »Halbstarker« angemacht, gab dieser Mickrige hochfahrend zurück: »Du verwechselt mich wohl mit HO-Bohnenkaffee?!«
Der gebürtige Dresdner blieb 1977 im Westberlin, nach einem Weihnachtsauftritt für dortige Reichsbahn-Angestellte. Ein kleiner Sachse war frei, aber ein König hatte sein Reich verloren. Wenn er jetzt auftrat, im Westfernsehen, dann hockte die Melancholie in jedem Ulk. Was ihm jetzt an Witz aus der Seele kam, kam irgendwie auch aus Not. Die Gründe, über die DDR zu lachen, wurden immer mehr – aber es fehlte der, der uns zum Lachen über das allen bekannte brachte. Der Clown braucht zum Leben immer just jene Welt, die es ihm schwer macht, als Clown zu existieren.
Dann kam die Wende. Und Cohrs kam zurück. Und dann tobte seine Psyche. Dann schoss er auf seine Frau (Armeepistole, Zweiter Weltkrieg). Dann starb ein Sohn. Dann kam der Krebs. Und dann, schon an der Schwelle zur anderen Seite der Zeit, die Enthüllung: Dienst bei Hitlers Schlimmsten. Er war ein Meister des sehr kurzen Wegs zum szenischen Höhepunkt – aber so schnell geht eben auch das zusammen: Totenkopf und beliebter Winzling mit Pepitahut.
Der spanische Erzähler Javier Marias: »Erst wenn die Wahrheit gesagt ist, wurde sie Wirklichkeit.« Was wir nicht wissen, existiert nicht. Wir lachen über Cohrs, weil wir dessen biografischen Hintergrund nicht kennen. Wir erfuhren ihn – änderte sich wirklich das Verhältnis zur eigenen Amüsiertheit? Einmal mehr offenbart sich bei diesem Komiker das mögliche Missverhältnis von Talent und Charakter. Beides hat nicht unbedingt miteinander zu tun. Gabe ist Gnade, ist Geschenk. Vielleicht war es bei Cohrs ein Teil dieses Lebensgeschenks, dass er den möglichen Schock des Publikums, den garantierten Enthüllungsfrost der Medien nicht mehr durchleben musste.
Heute wäre er neunzig. Wenn das Fernsehen der östlichen Dritten Programme in die DDR zurückschaltet (es taucht gern und oft in den Kessel Buntes hinein, als wäre die Erinnerung an den Ex-Staat plötzlich persilsauber bereinigt), dann gehört die quenglige, pfiffige, krötig nervende und alle Logik zerschrillende Pusterglucke Cohrs zu den Kräften der ersten Reihe. Das wird so bleiben. Trotz Nebengedanken, die längst nicht mehr wegzuwischen sind. Am Ende siegt immer, wer die bessere Pointe hat, sogar gegen die bitterste Wahrheit. Gerade gegen die. Cohrs hatte schreiende Pointen – und ist Beweis geworden, dass das Leben die grausamsten Pointen weiß.
Das Beste von Eberhard Cohrs. Eulenspiegel Verlag Berlin. 176 S., brosch., 7,95 €
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