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Menschenwürde im Gefängnis?
Michael Walter über das neue Amt des Justizvollzugsbeauftragten
ND: Sie haben am 1. Januar eine bundesweit einmalige Stelle angetreten; als Justizvollzugsbeauftragter sollen Sie die Lebensbedingungen der Häftlinge überprüfen und verbessern. Wie sehen die ersten Schritte in Ihrem Amt aus?
Walter: Die zu leistende Arbeit beginnt nicht bei Null, sondern knüpft an die Tätigkeit eines im Jahre 2007 von der schwarz-gelben Regierung eingesetzten Ombudsmannes an. Dessen Aufgaben sind insbesondere im Hinblick auf die Beratung des Justizministeriums in grundsätzlichen Angelegenheiten des Strafvollzuges erweitert worden. Es kommt darauf an, die aus der Befassung mit einzelnen Eingaben gewonnenen Einsichten zu bündeln und auf dieser Basis strukturelle Verbesserungen zu erreichen.
Nordrhein-Westfalen ist immer wieder durch Gefängnisskandale in die Schlagzeilen geraten: Es gab Foltermord und Gewalttaten unter den Häftlingen. Was sind die Hauptprobleme im Justizvollzug?
Ein zentrales Problem haben Sie bereits benannt, die Gewalt im Gefängnis. Das Gefängnis ist schon begriffsnotwendig eine Stätte der Gewalt, weil es den Gefangenen gegen ihren Willen den allergrößten Teil ihrer Freiheit nimmt. Minimale Freiheiten müssen gleichsam neu geschaffen werden – und zwar für jeden Gefangenen, um die Menschenwürde zu wahren und die soziale Integration zu fördern. Das klingt vielleicht banal und abgehoben, beschreibt aber das wichtigste Ziel.
Sie sollen das Justizministerium als unabhängiger Berater unterstützen. Welche Befugnisse haben Sie?
Die wichtigste Befugnis ist die, nachzudenken und die Resultate dessen vortragen zu können. Ich will keine Gedanken aufzwingen, sondern in der Sache überzeugen, die politische Auseinandersetzung beleben. Der Justizvollzugsbeauftragte ist unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Er kann selbstständig Arbeitsschwerpunkte setzen, hat außerdem Auskunfts-, Zutritts- und Einsichtsrechte. Insbesondere seine jederzeitige Anhörung ist rechtlich abgesichert. Natürlich kann er das Ministerium nicht zum Handeln verpflichten. Das verstieße gegen die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung.
Ist Ihr neuer Posten ein Modellprojekt, das bei Erfolg auf andere Bundesländer übertragen werden soll?
Welche Ergebnisse erreichbar sind und wie diese einmal beurteilt werden, lässt sich zu Beginn der Tätigkeit verständlicherweise nicht sagen. Auf alle Fälle erscheint gerade im Vollzugsbereich die Schaffung einer neutralen Stelle, die nicht den Zwängen des Verwaltungsgeschehens unterliegt, sinn- und hoffnungsvoll.
Wie kann der Justizvollzug als Ganzes verbessert werden? Braucht es mehr Geld oder ein komplettes Umdenken im Strafsystem?
Jeder den Menschenrechten entsprechende Freiheitsentzug ist aufwendig und teuer. Nicht nur deshalb, jedoch schon deshalb stellt sich die Frage, in welchem Umfang wir Gefängnisse brauchen. Wir bräuchten sie deutlich weniger, wenn beispielsweise Geldstrafenschuldner, die ihre Strafe nicht bezahlen können, statt im Gefängnis zu sitzen ihre Strafe draußen abarbeiten würden und wenn insgesamt die Akzente stärker auf Arbeit und Wiedergutmachung gelegt werden könnten. Ein guter Justizvollzugsbeauftragter ist nach meinem Verständnis nicht zuletzt der, der dazu beiträgt, das Maß des Freiheitsentzugs auf das wirklich Notwendige zu begrenzen.
Fragen: Jenny Becker
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