Interkulturelle Ego-Trips
»Funk is not dead« im Ballhaus Naunynstraße entlarvt einen heuchelnden Kulturbetrieb
Deniz bockt: »Türken-Tussen spiele ich nicht mehr!« Das fällt der Star-Schauspielerin arg spät ein, in zehn Minuten beginnt die Live-Übertragung des Hörspiels, in dem sie die türkische Prostituierte Leyla sprechen soll. Also wird improvisiert. Aus Leyla wird die deutsche Anwältin Tanja – aus »Istanbul Frankfurt an der Oder« – und aus dem radiotauglichen Liebesdrama wird eine absurde Gewaltfantasie. Rasant und sarkastisch entblößt die Komödie »Funk is not dead« im Ballhaus Naunynstraße die Machtspielchen und Verlogenheiten im multikulturellen Kulturbetrieb, aber auch die Vorurteile der Zuhörer.
Zwar dient als Vorlage der japanische Film »Welcome back, Mr. McDonald« von Koki Mitani, in dem die zunehmende Amerikanisierung der japanischen Gesellschaft angeprangert wird. Doch in der Fassung von Dil Üner (auch Regie) und Tunçay Kulaolu wirkt die Geschichte wie gemacht für das kleine Kreuzberger Off-Theater, das mittlerweile deutschlandweit bekannt ist für gesellschaftlich aktuelle, deutsch-türkische Bühnenproduktionen. »Postmigrantisches Theater« lautet das Label dazu. Doch was verkopft klingt, ist – wie »Funk is not dead« wieder einmal beweist – klug gemachtes, heutiges Theater voller Tempo und Selbstironie.
Denn das Stück um ein außer Kontrolle geratenes Hörspiel entlarvt nicht nur Eitelkeiten und Heuchelei von Kulturschaffenden, sondern stellt die Empfindlichkeiten und Komplexe der Deutschtürken ebenso bloß wie die alltäglichen Klischees in den Köpfen der »Biodeutschen«. Geschont wird hier keiner: Wenn sich der im Rollstuhl sitzende Autor Harald auf sein falsches Kompliment, wie toll sich Schauspielerin Deniz ins (deutsche) Berufsleben integriert habe, die zuckersüße Erwiderung »Du aber auch, mein Lieber!« anhören muss, wird klar: Hier ist keiner besser als der andere.
Opfer in diesem Haifischbecken aus Selbstdarstellern und Zynikern ist die junge Autorin Nilgün, die zunehmend verzweifelt mit ansehen muss, wie ihr Hörspiel um die Liebe zwischen einer türkischen Prostituierten und einem Fischer am Bosporus in eine abstruse Milieustudie verwandelt wird – inklusive Ehrenmord im ostdeutschen Ghetto, brechenden Staudämmen und Raketen.
Nachdem die zickige Schauspieldiva Deniz (herrlich unsympathisch: Aylin Esener) ihren Willen durchgesetzt hat, will ihr Kollege Ismail »was ebenso Glamouröses« und macht, mit Blick auf die erträumte Hollywood-Karriere, aus Fischer Murat den Piloten James McDonald. Dann klinkt sich auch noch Erzähler Harald vor laufenden Mikros in die Geschichte ein, Radioproduzent und Althippie Klaus Hartmann beißt vor Wut in den Tisch. Und nur der zynische Regisseur Lars (»Für mich zerfällt das Leben in zwei Teile: den unglücklichen und den schrecklichen«) hat Mitleid mit der heulenden Autorin.
So wird das enge Funkstudio (Bühne Niels Bovri) – vorne das Aufnahmepult mit Technik, im Hintergrund das große Fenster zur schallisolierten Sprecherkabine – zum Austragungsort von Ego-Trips und interkulturellen Machtkämpfen. Schnell verfliegt die aufgesetzte »Alles Easy«-Stimmung, verbale Spitzen sausen hin und her, bis Produzent Klaus brüllt, »Ich lass’ Euch alle abschieben«. Der sonst so coole Ismail verpasst ihm daraufhin einen Magenschwinger um gleich darauf loszuheulen: »So wollte ich nie werden!« Entlarvende Dialoge, glänzend aufgelegte Darsteller und eine Inszenierung, die Klischees auf allen Seiten hinterfragt: Unbedingt hingehen!
20.-23.1., 20 Uhr; Ballhaus Naunynstraße, Naunynstr. 27, Kreuzberg, Karten-Tel.: 030-75 45 37 25
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