Weg mit der Praxisgebühr

Heute soll das Parlament über einen Antrag der LINKEN entscheiden

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf 4,8 Milliarden Euro summierten sich 2009 die Ausgaben der Patienten für die Praxisgebühr sowie die Zuzahlungen für Medikamente, Krankenhäuser und Hilfsmittel. Das ist ungerecht, findet die Bundestagsfraktion der LINKEN und fordert die komplette Abschaffung all dieser Zusatzkosten. Heute ist ihr Antrag Gegenstand der Debatte im Parlament.

Als die Praxisgebühr für den Arztbesuch in Höhe von 10 Euro im Quartal zum 1. Januar 2004 eingeführt wurde, argumentierten die Befürworter mit den im europäischen Maßstab vergleichsweise hohen Zahlen von Arztbesuchen hierzulande. »Ziel dieser Regelung ist einerseits, die Eigenverantwortung der Versicherten zu stärken und andererseits einen Beitrag zur Konsolidierung der Finanzen der Gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten«, hieß es damals in einer Mitteilung des Bundesgesundheitsministeriums.

16 Mal im Jahr gingen die Deutschen zum Arzt, als die Praxisgebühr eingeführt wurde, für 2009 ergab eine Auswertung der Barmer GEK eine Zahl von 18 Arztbesuchen. Die Entwicklung dürfte jenen recht geben, die eine Steuerungsfunktion dieser Gebühr oder eine Eindämmung des »Ärztehoppings«, wie es auch hieß, von Anfang an bezweifelten. Bei genauerem Hinschauen ergab sich jedoch, dass vor allem ärmere Menschen auf Arztbesuche verzichteten – eine Folge dieser Gebühr, die Linke, Sozialverbände und Patientenvertreter von Anfang an befürchtet hatten. So zitiert die LINKE in ihrer Forderung an die Bundesregierung, die Praxisgebühr abzuschaffen, eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Die hatte ergeben, dass chronisch Kranke mit einem monatlichen Einkommen von weniger als 600 Euro zweieinhalb Mal häufiger als Besserverdiener wegen der zehn Euro Praxisgebühr einen Arztbesuch verschoben oder vermieden haben.

Die Techniker Krankenkasse (TK) meldete vor einem Jahr, dass jeder neunte Versicherte aus Mecklenburg-Vorpommern 2009 sogar auf Vorsorge und Früherkennung verzichtete, weil er fälschlicherweise der Meinung war, auch dafür zehn Euro Praxisgebühr berappen zu müssen. Von den unter 35-Jährigen gab gar jeder siebte Befragte an, mit Blick auf die Geldbörse von der Früherkennung abzusehen. Die Linkspartei führt darüber hinaus an, die österreichische Regierung habe das Pendant zur Praxisgebühr, die Ambulanzgebühr, nach zwei Jahren Kritik an den unsozialen Auswirkungen wieder abgeschafft.

Danach sieht es in Deutschland allerdings nicht aus, auch wenn die gesetzlichen Krankenkassen in diesem Jahr Überschüsse vermelden und sogar der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CDU), für eine Abschaffung plädiert. Bereits 2006 wünscht sich Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt eine Gebühr von fünf Euro bei jedem Arztbesuch und wird dabei von Dr. Andreas Köhler, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), unterstützt.

Die LINKE argumentiert, dass Zuzahlungen und Praxisgebühr pauschal erhoben werden und daher vor allem Menschen mit unteren und mittleren Einkommen belasten. Das sei sozial ungerecht und widerspreche dem Solidargedanken. Zuzahlungen seien zudem

allein von kranken Menschen zu tragen. Sie würden also stärker als Gesunde zur Kasse gebeten, Arbeitgeber seien ganz raus. Finanzieren wollen die Linken das Ganze, indem die Bemessungsgrenze, bis zu deren Höhe Versicherte prozentual mit Beiträgen belastet werden, auf 5500 Bruttoeinkommen im Monat angehoben wird. Perspektivisch könnte die Beitragsbemessungsgrenze ganz aufgehoben werden und damit der Solidargedanke sowie die Einnahmebasis der Kassen gestärkt werden.


Standpunkte

CDU: Die Partei stellt die Abschaffung der Praxisgebühr in Aussicht, wenn die Kopfpauschale eingeführt ist. Viele Mitglieder wollen sie aber erhöhen.
CSU: Jüngster Vorschlag ist eine Gebühr bei jedem Arztbesuch.
SPD: Sie ist für die Abschaffung der Praxisgebühr, einige Mitglieder wollen sie noch erhöhen.
Bündnis 90/Grüne: Praxisgebühr und Zuzahlungen sollen abgeschafft werden.
FDP: Sie ist für die Überprüfung der Praxisgebühr. ND

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