Emotionen auf der Messingplatte
In einer Bucher Metallwerkstatt entstehen die Stolpersteine für das gleichnamige Gedenk-Projekt
»Jedes Mal läuft im Kopf ein Film ab«, sagt hier Michael Friedrichs-Friedländer. Wenn er die Namen der Verschleppten und Ermordeten in die Messingplatten stempelt. Wenn er jeden einzelnen Buchstaben mit einem Hammer in das Metall schlägt: Kraftvoll und doch vorsichtig, präzise und hoch konzentriert. »Mich lässt kein Opfer kalt«, sagt der Künstler leise. Er versucht sich oft vorzustellen, welche Qualen die Menschen damals erleiden mussten: Aus dem Schlaf gerissen, vom Arbeitsplatz entführt, verraten, verschleppt, bestialisch ermordet. Kinder, junge Eltern, Alte. Jüdische Bürger, Sinti und Roma, politisch und religiös Verfolgte.
Dieses Ausmaß an Gewalt und Unmenschlichkeit sei unbegreiflich. Damit die Opfer niemals vergessen werden, rief Gunter Demnig vor mehr als zehn Jahren das »Stolperstein«-Projekt ins Leben. Mit den goldglänzenden Schriftzügen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig. Michael Friedrichs-Friedländer ist stolz, daran mitwirken zu dürfen.
20 solche kleinen Kunstwerke stellt er an einem Tag fertig. Von Sonntag bis Freitag kommt er in die Metallwerkstatt auf den Bucher Künstlerhof. Je weiter er sich diesem Ort nähert, desto mehr beschäftigt ihn emotional seine Arbeit. »Ich kann dann auch keine laute Musik mehr im Auto hören«, sagt er.
Friedrichs-Friedländer macht sich einen Kaffee, zündet sich eine Zigarette an und schaut die Manuskripte durch. Name, geboren, ermordet – die Texte sind im Telegrammstil verfasst. Maximal zehn Zeilen passen auf die zehnmal zehn Zentimeter große Metallplatten. Was letztendlich zu lesen ist, entscheidet Gunter Demnig gemeinsam mit den Initiativen, die für einen oder mehrere Steine spenden.
Aber auch der Bildhauer in Buch blickt noch einmal genau auf die Worte, bevor er beginnt, von der Mitte aus, jeden einzelnen Buchstaben und jede Zahl in das Messing zu treiben. »Im Unterschied zur Gravur, bei der Material entnommen wird, drücke ich es beim Stempeln auseinander«, erklärt der 60-Jährige. Er hat sich dafür eigens eine Vorrichtung gebaut.
Dass er mittig mit dem Hämmern beginnt, hat zwei Gründe. Die Schrift werde gleichmäßiger platziert und er könne Korrekturen vermeiden, weil er die Worte ganz anders liest. Trotzdem sind schon Fehler passiert, allerdings wenig – vielleicht einer auf 1000 Steine, schätzt der Künstler. Manchmal lassen die sich noch auf demselben Metall ausbessern. Wenn ein »O« ein »B« sein muss, beispielsweise. Ausschlaggebend sei auch immer seine Tagesform.
Manchmal nehmen ihn die Geschichten, die hinter den Namen stecken, sehr mit. Noch immer überkommt den Künstler ein kalter Schauer, wenn er an einen Auftrag aus Hamburg denkt. »30 Kleinkinder und vier Erzieher wurden aus einem Weisenhaus verschleppt und ermordet«, sagt Friedrichs-Friedländer. Zwei Tage lang war er mit diesen Schicksalen beschäftigt. Und abends so fertig, dass er sich in der Werkstatt hinsetzte und weinte. Dabei schwirrten ihm Gedanken durch den Kopf, wie er sich selbst verhalten hätte, in der damaligen Zeit. Er weiß es nicht.
Interessiert hat ihn die Vergangenheit schon immer. »Als Schüler stellte ich viele unbequeme Fragen, die aber nicht beantwortet wurden«, erinnert er sich. Deshalb findet er es wichtig, dass vor allem junge Leute Fakten über die Geschichte der Opfer zusammentragen. Dieses wachsende Interesse der jungen Generation an dem Projekt beeindruckt auch Gunter Demnig am meisten.
Noch immer verlegt der 63-Jährige zu 95 Prozent die Stolpersteine selbst. Nur ein Mal war Michael Friedrichs-Friedländer dabei. Die vielen Aufträge beschäftigen ihn rund um die Uhr. Geliefert wird pünktlich, auch wenn er manchmal nur einen Tag Vorlauf hat.
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